"nano"-Moderator Ingolf Baur © ZDF/Jana Kay

„Für eine langsame Anpassung an den Klimawandel ist es zu spät“

„nano“-Moderator Ingolf Baur über einen Selbstversuch, Grenzen des klimaneutralen Verhaltens und Geoengineering

Lesen Sie hier ein Interview mit „nano“-Moderator Ingolf Baur, der sich in zwei Filmen mit dem Klimawandel beschäftigt: In  „nano: Klimaretter“ (Mittwoch, 24. April, 18.30 Uhr) zeigt er, wie wirksamer Klimaschutz durchgesetzt werden kann - und macht den Selbstversuch: Er will seinen ökologischen Fußabdruck halbieren. In „nano: Die Reparatur der Erde“ (Freitag, 10. Mai, 18.30 Uhr) stellt er die aussichtsreichsten Projekte des sogenannten Geoengineering vor und diskutiert die Machbarkeit und die Risiken der neuen Technologien.

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Interview

Für die Dokumentation „nano: Klimaretter“ (Mittwoch, 24. April, 18.30 Uhr, in Erstausstrahlung) haben Sie versucht, Ihren ökologischen Fußabdruck zu halbieren. Welche Erfahrung haben sie dabei gemacht?

Dass es gelingt – für eine gewisse Zeit. Aber spätestens wenn es an die nächste Urlaubsplanung geht, wird es sehr schwierig. Wie soll ich meine Familie davon überzeugen, dass wir ab jetzt nur noch mit dem Zug wegfahren? Fliegen oder Autofahren passt nicht zu einem Leben mit kleinerem CO2-Fußabdruck – genauso wenig wie Fleischessen oder das gewohnte Konsumniveau. Ohne radikale Vorgaben aus der Politik, ohne gewaltige Investitionen in Infrastruktur und Technologieentwicklung, ohne ein schnelles Ende der fossilen Energieerzeugung, werden wir die Kurve nicht kriegen. Für eine langsame Anpassung an den Klimawandel ist es zu spät: Wir haben noch zehn Jahre zum Umlenken. Mehr nicht.

 

Was ist Ihnen besonders schwer gefallen?

Man kann sich viel vornehmen, solange man es erst morgen umsetzen muss. Wenn dann das Morgen da ist, sieht die Sache ganz anders aus: Kann ich wirklich drei Stunden früher los, um den Zug zu nehmen und Verspätungen einzurechnen? Lohnt es sich, mit dem ganzen Gepäck zur Bushaltestelle zu laufen, wo das Auto vor der Tür steht und praktisch nichts kostet? Drehe ich den nächsten Film in den USA nicht, denn mit dem Zug komme ich da nicht hin? Mobilität ist der größte Brocken in meiner CO2-Bilanz – und gerade hier fehlen viel zu häufig gute Alternativen.


Was hat Sie bei Ihren Dreharbeiten am stärksten beeindruckt?

Wir haben Umweltschützer Marius Diab in seinem Zuhause bei Augsburg besucht (und dabei allein für die Fahrt mit dem Kamerawagen schon etwa 125 kg CO2 freigesetzt.) Marius hält unsere Wegwerfgesellschaft für das größte Übel und hat vier Jahre lang als Experiment nur von dem gelebt, was andere für Müll halten. Er wohnt in einer selbstgebauten Jurte mit Holzofen, ohne Strom und fließendem Wasser. Und das ist ein frei gewähltes Leben. Der studierte Mittzwanziger ist ein kluger Kopf und könnte sicherlich auch erfolgreicher Banker werden. Dass er so konsequent die Natur schützt, hat mich beeindruckt. Allerdings ergab der Test, dass auch er einen CO2-Fußabdruck von gut vier Tonnen pro Jahr hat. Allein die Infrastruktur in Deutschland schlägt für jeden von uns schon mit einer dreiviertel Tonne zu Buche. Das zeigt, welche Grenzen unser persönliches Klima-Engagement hat.

 

Was muss denn jetzt passieren?

Der Verhaltensforscher Pelle Hansen aus Kopenhagen hat gezeigt, dass man mit Psychotricks wie „Nudging“ – eine Methode, um Verhalten ohne Verbote zu beeinflussen – Menschen in ihren guten Klimaschutzvorsätzen bestärken kann. Viel bewegen kann man damit aber nicht. Wir brauchen sehr schnell sehr strenge Vorgaben aus der Politik, beispielsweise über einen hohen Preis für CO2, der der Industrie einen verlässlichen Rahmen bietet. Am besten natürlich weltweit. Das wäre eine Politik, die die Interessen zukünftiger Generationen mit einbezieht. Dass Politik sich dazu nicht in der Lage sieht, wurde im Streitgespräch mit der früheren Umweltministerin Barbara Hendricks schnell klar. Die Frage ist also, wie man Politiker unter Druck setzt. Auch wenn ich weiß, dass es wenig ändert, ob ich heute ein Schnitzel esse oder nicht, hinterfrage ich in meinem Alltag immer noch jede klimarelevante Entscheidung. Wahrscheinlich kann ich aber am meisten bewirken, indem ich mit unserem Film Menschen sensibilisiere und deren Bereitschaft für einen radikalen Wandel erhöhe.


Die Forschung arbeitet intensiv an Wegen, um die Klimaerwärmung mit technischen Eingriffen zu reduzieren („nano: Die Reparatur der Erde“, Freitag, 10. Mai, 18.30 Uhr, in Erstausstrahlung). Könnte das die Lösung sein?

Wer weiß schon, welche technischen Möglichkeiten es in der Zukunft geben wird. Vor 30 Jahren gab es nicht mal Handys. Allerdings wäre es ein gewaltiges Risiko, sich darauf zu verlassen. Das Klimasystem der Erde befindet sich in einem labilen Gleichgewicht, meinte Tim Lenton, Klimawandel- und Erdsystemwissenschaftler aus Exeter in Großbritannien. Das heißt: Nur ein wenig mehr CO2 in der Atmosphäre könnte durch eine Rückkopplung das Klima kippen lassen. Das Leben auf der Erde würde dann extrem ungemütlich. Unser Klimaproblem lässt sich mit Geoengineering-Technologien wie Solar-Radiation-Management (SRM) mit Sicherheit nicht lösen. Allerdings könnten sie möglicherweise die Spitze der Klimaerwärmung kappen und so das Schlimmste verhindern, während wir echten Klimaschutz betreiben, also den CO2-Ausstoß runterfahren. Unter den Begriff Geoengineering fallen auch Technologien, CO2 aus den Schornsteinen der Industrieanlagen oder sogar direkt aus der Luft zu fischen und im Untergrund zu deponieren. Das gibt es heute nur im Versuchsmaßstab, wir werden es aber auf jeden Fall in der Zukunft brauchen, um den CO2-Gehalt der Atmosphäre wieder auf ein vorindustrielles Niveau zu bringen. Sonst bleibt das Klima nicht stabil.

 

Worin liegen die Risiken solcher Techniken?

Solar-Radiation-Management scheint die wirksamste Technologie zur Klimaabkühlung zu sein. Dabei müsste Schwefel mit Flugzeugflotten in die Stratosphäre gekippt werden. Dass das wahrscheinlich funktioniert, weiß man von Vulkanausbrüchen wie dem Pinatubo 1991: Danach sank die globale Durchschnittstemperatur um 0,4 Grad. Die Risiken fürs Ökosystem sind möglicherweise gar nicht so dramatisch, die Vulkanausbrüche haben wir schließlich auch überlebt. Das Risiko, dass wir dabei die fragile Balance unseres Klimasystems stören, ist schon größer. Das größte Risiko scheint mir allerdings, dass die Aussichten auf solche Techniken die Motivation zur CO2-Reduktion aushebeln.


Der Klimawandel schreitet schnell voran und es besteht dringender Handlungsbedarf. Ist überhaupt genügend Zeit, Geoengineering-Projekte ausreichend zu testen? Und wie aussagekräftig können solche Tests für die Realsituation letztlich sein?

Die Freilandexperimente zum Solar-Radiation-Management (SRM) an der Harvard University in Boston könnten helfen, die Atmosphärenphysik und -chemie genauer zu verstehen. Allerdings werden sie immer wieder verschoben – die Genehmigungen fehlen. Ob SRM wirklich funktioniert, würden sie immer noch nicht verraten. Das merkt man erst, wenn es tatsächlich in realem Maßstab eingesetzt wird. Das heißt, wir haben nur einen Versuch. Und da wir auch nur einen Planeten haben, sollte man sich das vorher gut überlegen.

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Marion Leibrecht
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Mainz, 01. April 2019
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