
Denn es kommt anders, wenn man denkt
Drei Fragen an Gert Scobel zum Start seines YouTube-Kanals
Am Donnerstag, 17. Oktober, startet der Youtube-Kanal mit Gert Scobel. Jede Woche wird er unter www.youtube.com/Scobel ein neues Video zu einem spannenden Thema aus Wissenschaft, Philosophie, Ethik, Kultur und Gesellschaft präsentierten. Lesen Sie hier ein Interview mit dem 3sat-Moderator, Autor und Grimmepreisträger.
1. Auf YouTube gibt es unzählige Kanäle. Was ist das Besondere am neuen Kanal von Scobel?
Der philosophische Blick. Ich bin der Ansicht, dass es im Grunde keine Disziplin gibt, die in sich thematisch vielfältiger und umfassender ist als die Philosophie. Mir sagen viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die zu Gast in meiner Sendung „scobel“ sind, hinterher im Gespräch, dass sie ein wenig neidisch wären, weil ich mich – anders als sie – mit so vielen unterschiedlichen Dingen beschäftigen darf. Das Dumme ist ja, dass wir inzwischen glauben, es sei cool, ein besonders hohes Misstrauen Generalisten gegenüber zu hegen, also denen gegenüber, die sich buchstäblich mit allem und sogar mit dem Nichts beschäftigen können und wollen. Ich halte das für eine wirkliche Fehlentwicklung, an der Karrierepläne, aber auch Schulen und Universitäten eine Mitschuld tragen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir in einer Zeit der großen Transformationen, in der wir zweifellos leben, viel mehr Leute gezielt und gut ausbilden müssen, die einen Blick auf das Ganze haben. Mein Team und ich wollen mit dem Kanal dazu beitragen, diesen Blick zu schärfen – ohne deshalb im Detail falsch oder schlampig zu werden. Im Gegenteil: Gute Recherche und Faktenkenntnis bleiben das A und O. Wir haben inzwischen ein gutes Netzwerk von Forscherinnen und Forschern, die wir bei Zweifeln ansprechen können. Unsere primäre Ausrichtung ist aber, wie in der Sendung, stets interdisziplinär – darauf werde ich achten. Und sie ist philosophisch. Es spielt eben auf Dauer doch eine Rolle und macht einen entscheidenden Unterschied, ob ich nur mir und dem, was mich interessiert Aufmerksamkeit schenke – oder eben versuche, ganz gezielt immer wieder über meinen eigenen beschränkten Horizont hinauszudenken, um das Ganze zu betrachten.
2. Wen möchten Sie mit Ihrem YouTube-Kanal erreichen?
Möglichst viele. Alle. Das klingt vermessen, oder? Und ist in dieser Form sicher auch unrealistisch. Was ich damit meine ist, dass ich niemanden ausschließen möchte. Wenn man sagt „Ich möchte nur die Jungen“ oder „Ich möchte nur die Alten“ ansprechen, dann klingt das so, als wolle man die anderen ausgrenzen. Warum sollte ich das wollen – so als wäre die eine sogenannte Zielgruppe besser als die andere. Diese Denkweise verrät eine Form von borniertem Desinteresse, die ich nicht teile. Außerdem finde ich, dass man sich selbst nicht nur im Kopf, kognitiv, sondern mindestens genauso stark im Emotionalen und in seinen Empfindungen einschränkt und damit völlig unnötig begrenzt, wenn man sagt „Ich habe die und die Zielgruppe im Kopf und sonst niemanden“. Und noch etwas kommt hinzu: Viele Dinge und auch Themen haben ein Alter. Mit 20 sieht man ein Thema wie Drogen anders als mit 70, denn vermutlich geht es dann weniger um Rave und psychoaktive Substanzen, sondern um Niedergeschlagenheit oder Schmerzen. Im Grunde gilt für jedes Thema, dass es eine Art Zeitindex hat. Mit zunehmendem Alter erkennt man Aspekte, die man früher einfach ignoriert hat. Und umgekehrt sieht man als junger Mensch völlig zu Recht eine Dringlichkeit etwa in einem Thema wie der drohenden Klimakatastrophe, die viele meines Alters lange Jahre systematisch runtergespielt haben. Kurz gesagt: Wenn man, wie wir, nicht nur die Komplexität und innere Vielfältigkeit eines Themas, sondern auch die Vielfalt der Perspektiven und der zeitlichen Entfaltung mitdenken will, dann sollte man an möglichst viele unterschiedliche Menschen denken. Das ist nicht nur eine journalistische, sondern zugleich auch eine demokratische, also politische Bürgerpflicht. Wir leben in einer Zeit massiver Umbrüche und Transformationsprozesse. Die wollen wir kritisch begleiten ohne so zu tun, als ständen wir nur draußen und würden zuschauen, was die anderen so machen. Wir sind ja selbst Teil dieser Prozesse und gestalten sie mit.
3. Was macht Ihnen als Fernsehmacher mehr Spaß: Fernsehen oder YouTube?
Um ehrlich zu sein – die Möglichkeit, mich mit vielen relevanten Inhalten zu beschäftigen, macht mir am meisten Spaß. Aber das war schon immer so. Mit YouTube stehen wir am Anfang. Es gibt bereits ein großes Angebot von guten, coolen, innovativen und klugen Beiträgen, die täglich mehr werden. Mal sehen, wo wir nach ein paar Monaten eingereiht werden. Denn wo wir stehen, entscheiden ja die User. Mir persönlich hat es immer Spaß gemacht, etwas Neues auszuprobieren. Das war so nach den Jahren bei der Zeitung, dann beim Radio schließlich auch beim Fernsehen, wo ich zunächst ja Filme gemacht habe. Obwohl ich jetzt vergleichsweise ein ziemlich alter Typ bin, ist es nie zu spät, um mit dem, was man tut, wirkliche Freude zu haben. Und Freude geht noch tiefer als Fun, also als reiner Spaß. Echte Freude an der Sache ist anhaltender und man kann sie überall kultivieren. Das gelingt wahrscheinlich ohnehin besser, wenn man immer wieder neue Themen angehen und zuweilen auch mit interessanten Gästen sprechen kann. Wir wollen ja bewusst über die Perspektive einzelner Fachwissenschaften hinaus denken und verschiedene Ansätze neu miteinander ins Gespräch bringen. Das kann man im Fernsehen übrigens genauso wie auf YouTube oder im richtigen Leben. Jedenfalls wollen wir andere dazu anregen, selbst weiterzudenken, sich zu informieren und wichtige Fragen für sich zu klären. Richtig zu denken kann helfen, es anders und im Idealfall besser zu machen. Denn es kommt anders, wenn man denkt. Teil dieser Veränderung zu sein, macht Freude.
Das Interview führte Stephanie Keppler, Redaktion „scobel“
Hauptabteilung Kommunikation
Programmkommunikation
Marion Leibrechtleibrecht.mwhatever@zdf.de
Mainz, 11. September 2019