Dr. Petra Gelbart, Musikethnologin und Musikerin, New York University, singt im Lagerabschnitt B II e, dem einstigen „Zigeunerfamilienlager“ in Auschwitz- Birkenau, ein Lied, das sich aus der Zeit des Genozids erhalten hat (c) ZDF/Rainer Komers

Grimme-Preis 2023 für "Unrecht und Widerstand – Romani Rose und die Bürgerrechtsbewegung"

Dokumentarfilm von Peter Nestler - noch bis zum 24. Juni 2023 in der 3satMediathek

Im Wettbewerb "Information & Kultur" gewinnt die ZDF/3sat-Koproduktion "Unrecht und Widerstand – Romani Rose und die Bürgerrechtsbewegung" von Peter Nestler (Produktion: Strandfilm Produktions GmbH und Navigator Film für ZDF/3sat; Redaktion ZDF/3sat: Udo Bremer; Erstausstrahlung in 3sat: 25.07.2022). Über acht Jahrzehnte haben deutsche Sinti und Roma Unrecht erfahren. Der Dokumentarfilm "Unrecht und Widerstand - Romani Rose und die Bürgerrechtsbewegung" erzählt von Romani Roses Familie, ihrem Widerstand und ihrem Beharren auf Gerechtigkeit. Es ist die leidvolle Geschichte einer Minderheit zwischen Trauma und Selbstbehauptung, die die gesamte Nachkriegszeit hindurch bis in die Gegenwart hinein Gewalt und behördliche Schikanen erlitt und nur dank der Bürgerrechtsbewegung Anerkennung erfuhr. 13 nahe Verwandte der Roses wurden in den Lagern der Nazis umgebracht. Für Roma und Sinti, die den Völkermord überlebt hatten, waren Ausgrenzung, Armut und behördliche Schikanen Alltag. Der Porajmos, der Genozid an der Minderheit, wurde erst 1982 offiziell anerkannt. Peter Nestler beschreibt in seinem neuen Dokumentarfilm den langen Weg aus der Rechtlosigkeit und Diskriminierung in die Bürgerrechtsbewegung. Deren unermüdliches Engagement zeugt von Zivilcourage und Bürgersinn, vom entschiedenen Eintreten für das Miteinander diverser Kulturen und von zukunftsweisendem Demokratieverständnis.

 

Der Dokumentarfilm "Unrecht und Widerstand – Romani Rose und die Bürgerrechtsbewegung" ist noch bis zum 24. Juni 2023 in der 3satMediathek zu sehen.

Dokumentarfilm

In der Begründung der Jury heißt es: "Die Notwendigkeit, das Leid der Sinti und Roma vor und nach 1945 endlich in umfassender und angemessener Weise zu erzählen, ergibt sich nicht nur aus dem unfassbaren und schrecklichen Geschehen selbst, sondern auch aus dem erstaunlichen und nur schwer zu begreifenden Umstand heraus, dass dies bisher noch nicht geschehen ist. Schon allein damit leistet der Film einen wichtigen und instruktiven Beitrag zur Chronik bundesdeutscher Geschichte, füllt eine nicht zu akzeptierende Leerstelle und trägt zu aktuellen geschichtswissenschaftlichen Debatten bei.

Nicht ganz verwundern mag hingehen, dass es Peter Nestler war oder vielleicht auch sein musste, der einen solchen Film endlich realisiert hat. Nestler, einer der bedeutendsten Dokumentarfilmer Deutschlands und – leider auch immer noch – einer der unbekannteren, galt immer als ein unbequemer Filmemacher mit klarer politischer Haltung, aber auch als einer, der mit genauem, unaufdringlichem und offenem Blick Menschen, Landschaften, Abläufe und Dinge betrachtet.

Schaut man Nestlers Werk von 1962 bis heute an, so scheint Geschichte immer eine der treibenden Kräfte gewesen zu sein, Welt und Wirklichkeit filmisch zu begegnen, darunter auch die Geschichte von Ausgrenzung, Marginalisierung und Verfolgung, Unterdrückung und Ermordung von Minderheiten. So ist es nicht das erste Mal, dass sich Nestler mit dem Themenkomplex befasst. Bereits 1970 realisierte er zusammen mit seiner Frau Zsóka Nestler für das schwedische Fernsehen – der als linkslastig geltende Nestler war aufgrund fehlender Arbeitsmöglichkeiten in der BRD nach Schweden migriert – mit „Zigeuner sein“ einen Film über die Verfolgung der Sinti und Roma im „Dritten Reich“ und die Diskriminierung danach. Einige der aufschlussreichen Gespräche mit Überlebenden, denen Nestler viel Zeit und Raum gibt, ihre Erinnerungen – auch mit ihrer unmittelbaren emotionalen Wirkung – zu erzählen, montiert er auch in seinen neuen Film mit ein. Da sich Zugewandtheit, Haltung und Gesprächsführung Nestlers seit jener Zeit kaum geändert zu haben scheinen, wirken sie weniger wie dokumentarische Archivalien als vielmehr gleichberechtigt neben den Ausführungen von Romani Rose.

Diese Geschichte hätte längst erzählt werden müssen. Ist die Anerkennung des Porajmos als Genozid aus „rassischen“ Gründen durch die unermüdliche Arbeit von Romani Rose und den vielen Mitstreiter:innen mittlerweile erreicht, scheint das Bewusstsein über eine bis in ihre Strukturen hinein rassistische Gesellschaft, wie sie für die ersten Jahrzehnte der Bundesrepublik zu verzeichnen ist, noch immer getrübt. Durch seine Tiefenbohrungen in Geschichte und Gesellschaft hinein schärft Nestler dieses Bewusstsein, ermöglicht es mitunter sogar erst. In Zeiten stärker werdender Xenophobie und wachsendem Antisemitismus und Antiziganismus wichtiger denn je."

 

Die Preisverleihung des Grimme-Instituts findet am Freitag, 21. April 2023, in Marl statt. 3sat zeigt ab 22.25 Uhr eine 120-minütige Zusammenfassung in seinem Programm.

 

Fotos des Films finden Sie hier.

 

Lesen Sie die ZDF-Pressemitteilung "ZDF-Familie mit sieben Grimme-Preisen ausgezeichnet" hier.

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Claudia Hustedt
hustedt.cwhatever@zdf.de
Mainz, 21. März 2023