
Kaminer Inside: documenta 15
Mit Wladimir Kaminer unterwegs auf der Kasseler Kunstschau
Alle fünf Jahre verwandelt sich Kassel für 100 Tage in ein Museum zeitgenössischer Kunst: Die documenta in Kassel gilt als wichtigste Kunstausstellung weltweit. Doch was 2022 als großes Fest der Kunst geplant war, geriet zum Skandal. Der Schriftsteller Wladimir Kaminer ist nach Kassel gereist, um auf dieser politisierten "documenta fifteen" zu fragen: "Was und wo ist eigentlich die Kunst?" Zu sehen in "Kaminer Inside: documenta 15" am Samstag, 27. August 2022, 22.05 Uhr, Erstausstrahlung.
22:05 Uhr
An 32 Ausstellungsorten, über die ganze Stadt verteilt, werden noch bis zum 25. September 2022 Millionen von Besucherinnen und Besuchern entdecken können, was die Ausstellungsmacher der 15. documenta als Gegenwartskunst präsentieren. Mehrfach hat Wladimir Kaminer Kassel und die Weltkunstschau besucht und sich im Gespräch mit Profis der Szene einem gänzlich neuen, sehr politisch geprägtem Kunstbegriff angenähert.
Erstmals hat ein indonesisches Künstlerkollektiv in Kassel die künstlerische Leitung übernommen: Ruangrupa entwickelt für die "documenta fifteen" ein radikal neues Konzept, angelehnt an das indonesische "lumbung", eine gemeinschaftlich genutzte Reisscheune, in der die überschüssige Ernte zum Wohle der Gemeinschaft gelagert wird. Es geht um die Idee des Teilens von Ressourcen zum Wohle aller. Mit Farid Rakun, einem der Ruangrupa-Künstler, spricht Wladimir Kaminer über Sinn und Zweck: "Kunst ist Leben. Und 'lumbung' ist eine Lebensweise. Wir wollen Gemeinschaft und Nachhaltigkeit in den Vordergrund bringen."
Doch statt Gemeinschaft zu feiern, provozierte die "documenta fifteen" gleich zu Beginn einen handfesten Skandal: Auf einem prominent platzierten Banner des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi wurden antisemitische Darstellungen entdeckt. Bereits im Vorfeld waren antisemitische Anschuldigungen gegen Ruangrupa laut geworden. Die KünstlerInnen und Kollektive haben sich entschuldigt und die Vorwürfe von sich gewiesen, doch welche Konsequenzen der Antisemitismus-Eklat noch nach sich ziehen wird, ist unklar. Der Vertrag mit der Generaldirektorin der documenta, Sabine Schormann, wurde jedenfalls Mitte Juli vorzeitig aufgelöst. Fest steht: Der Antisemitismus-Skandal überschattet die gesamte Kunstausstellung, bei der es ausgerechnet um Dialog und Miteinander gehen sollte, und die politischer ist als all ihre Vorgänger.
"Worum geht es hier eigentlich, um Politik oder Kunst", fragt Wladimir Kaminer. "Wo ist denn hier die Kunst, wo sind die wunderschönen Gemälde, die ich mir im Wohnzimmer an die Wand hängen kann?" Er trifft Künstler wie Njoki Ngumi und Sunny Dolat von "The Nest Collective", die Altkleiderballen zu einem riesigen Pavillon aufgetürmt haben. Mit einem Film im Innern will die Installation "Return to Sender" auf die Müllproblematik aufmerksam machen, mit der unbrauchbare Altkleider aus dem globalen Norden nach Afrika verschickt werden. Politischer Aktivismus mit einer klaren Botschaft, meint Kaminer - aber: Kunst?
Wladimir Kaminer spricht mit dem rumänischen Künstler Dan Perjovschi, der eine gigantische Zeitung auf den Asphalt zeichnet und die Säulen des ehrwürdigen Fridericianums in Kolumnen verwandelt. Mit den Vertretern von "Trampoline House" unterhält sich der Schriftsteller über das rigide Asylsystem Dänemarks. "Wir machen politische Kunst, sozial engagierte Kunst. Darum geht es hier bei der documenta 15, um neue Modelle des Miteinanders zu zeigen und voneinander zu lernen", erklärt Tone Olaf Nielsen.
Von Andrea Linnenkohl, General Coordinator der Ausstellung und Mitglied des künstlerischen Teams, lässt sich Kaminer die Ziele und Ausrichtung der "documenta fifteen" erklären: "Es geht documenta-Ausstellungen nicht darum, eine Ästhetik zu zeigen, die ausschließlich glücklich macht, sondern zu zeigen, was gerade in der Welt passiert - und eben auch Missstände aufzuzeigen und sie an das Publikum so zu transportieren."
Einen der bekanntesten Kunstsammler Deutschlands, Harald Falckenberg, bittet Kaminer um eine Einschätzung über die Grenzen zwischen Kunst und Politik. "Diese Sprache über die Bilder, die unsere ganze Gesellschaft mehr und mehr beherrscht, die wird hier konsequent abgebildet. Die documenta ist ein Spiegelbild der Wirklichkeit. Und da kann man sagen, diese Wirklichkeit ist sehr blöd und doof. Oder man kann sagen, sie ist gut", meint Falckenberg.
Vom Kassler Szenebar-Besitzer Dirk "Bob" Wachholder erfährt Wladimr Kaminer, wie sehr die documenta die Stadt und ihre Einwohner prägt. Erstmals werden nun Wachholders Bar und der umliegende Hof zum Ausstellungsort der Kunstschau. Allerdings: Auch dort gibt es kaum Kunstwerke im klassischen Sinne. Stattdessen finden Besucher eine radikal neue Interpretation des Kunstbegriffs: Veranstaltungen, Partys, Workshops - es geht um Gestaltung.
Antworten auf die Frage, was genau Kunst denn nun eigentlich ist, findet Wladimir Kaminer auf dieser sehr besonderen documenta.
Fotos finden SIe hier.
Aktuelle Informationen rund um die documenta 15 in der 3satMediathek unter:
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Marion Leibrechtleibrecht.mwhatever@zdf.de
Mainz, 15. Juni 2022