
"Kinder der Sonne": "Starke Stücke" vom 60. Berliner Theatertreffen
3sat zeigt die Inszenierung vom Schauspiel Bochum
Im Hause Protassow ist eine mehr als dysfunktionale Gemeinschaft versammelt. Allein zusammengehalten durch das Personal, verbringen sie ihre Tage mit den immer gleichen Ritualen. Doch sehen sie sich nicht: Sie leben, reden und lieben aneinander vorbei. Die slowenische Regisseurin Mateja Koležnik ist bekannt für ihre psychologisch feinsinnigen Inszenierungen. Im Schauspiel Bochum zeigt sie Maxim Gorkis "Kinder der Sonne".
20:15 Uhr
Das Familienoberhaupt, ein Wissenschaftler, zieht sich am liebsten in das hauseigene Labor zurück, belästigt alle anderen mit dem Gestank der Chemikalien, mit denen er hantiert, und empfindet alle Alltagsprobleme, die ihm zugetragen werden, als absolute Zumutung. Er strebt nach Höherem - nicht nur für sich, sondern gleich die gesamte Menschheit, die er sich anmaßt, auf einen besseren Weg führen zu können. Er verliert dabei nicht nur seine schwermütige Schwester und die in verzweifelter Liebe zu ihm entbrannte Witwe Melanija aus dem Blick, sondern auch die eigene Frau, die sich dem gemeinsamen Freund Wagin zuwendet. Auch wenn Protassow seine Frau als selbstverständlich betrachtet und ihr keine Aufmerksamkeit schenkt, bleibt sie ihm treu, sosehr Wagin auch um Jelena wirbt. Ebenso erfolglos bleibt das Bemühen das jungen Tierarztes Tschepurnoi um die Schwester Protassows, Lisa. Eine Katastrophe bahnt sich an, die aber keiner bemerkt, da alle stets um sich und ihre unerwiderte Liebe kreisen. Sie verstehen einander nicht, sind sich fern und scheitern bereits im alltäglichen Zusammenleben. Neurotisch, unglücklich, egoistisch und zutiefst komisch hat sich jeder in seinem Kokon eingerichtet.
Die slowenische Regisseurin Mateja Koležnik zeigt Maxim Gorkis "Kinder der Sonne" in einem hyperrealistischen Bühnenbild von Raimund Orfeo Voigt. Die einzelnen Figuren sind in sich selbst gefangen, ohne eine Möglichkeit, den Menschen in ihrer Umgebung wirklich nahe zu kommen. Der Theaterabend scheint wie aus der Zeit gefallen, ist jedoch alles andere als reaktionär, vielmehr verortet sie Maxim Gorkis bitter-komisches Revolutionsstück in einem Umfeld, in dem Menschen nicht mehr zwischen Fakten und Meinung unterscheiden und die Privilegierten nur noch mit Verachtung auf die Mehrheit der Gesellschaft blicken. "Kinder der Sonne" erzählt von einer zutiefst gespaltenen Gesellschaft und ist damit aktueller denn je.
Fernsehregie : Andreas Morell
Inszenierung: Mateja Koležnik
Besetzung:
Pawel Fjodorowitsch Protassow – Guy Clemens
Lisa – Anne Rietmeijer
Jelena Nikolajewna – Anna Blomeier
Dmitri Sergejewitsch Wagin – Victor IJdens
Boris Nikolajewitsch Tschepurnoi – Dominik Dos-Reis
Melanija – Jele Brückner
Nasar Awdejewitsch – Konstantin Bühler
Jegor – Michael Lippold
Antonowna – Karin Moog
Roman – Alexander Wermann
Fima – Amelie Willberg
Luscha – Emily Lück
Bilder finden Sie hier.