Rabiat: Aktienhype - muss ich einsteigen?

Film von Nico Schmolke
Di 25. Okt
23:10 Uhr
(Erstsendung: 01.08.2022)
Aktien sind angeblich das Maß der Dinge in Sachen Vermögensbildung. Angeregt durch Inflation und Influencer, zieht es immer mehr junge Menschen an die Börse.

Auch der Staat zieht mit. Bald soll es eine Aktienrente geben. Ist das riskante Zockerei oder sinnvolle Altersvorsorge einer Generation, die auf die gesetzliche Rente nicht mehr vertrauen kann? Reporter Nico Schmolke geht auf die Suche nach der passenden Anlage.

Dabei trifft er Unternehmer der New Economy, wie den TikTok-Influencer Robin Kiera, und Skeptiker, wie Griechenlands ehemaligen Finanzminister Yanis Varoufakis.

Im ersten Coronajahr, 2020, sind 500.000 Menschen unter 30 Jahren neu an die Börse gegangen. In Deutschland besitzen nun also 1,5 Millionen junge Leute Aktien. Und es werden immer mehr. Die Jungen sind dabei nur die Speerspitze einer Gesellschaft, die sich zunehmend für Aktien interessiert.

Während in Deutschland jeder zweite Mensch so gut wie gar kein Vermögen hat, teils sogar verschuldet ist, treibt es die andere Hälfte an die Börse. Mit Erfolg, denn die Aktienwerte steigen, viel mehr als die Löhne für tatsächliche Arbeit. Junge Menschen werden angeregt durch Börsen-Apps, die mit Hochglanzwerbung in den sozialen Medien auf sich aufmerksam machen. Geld-Influencer und Money-Formate im Netz verpassen Aktien ein cooles Image.

Der "Rabiat"-Film beginnt beim Autor: Zu Hause auf der Couch installiert Nico Schmolke sich die Aktien-App eines Berliner Start-ups. Er beginnt mit einem langfristigen Sparplan für vermeintlich sichere Aktienfonds, ETFs, die einen, breit gestreut, am Wachstum des Weltmarktes teilhaben lassen. Im Laufe der Dokumentation verfolgt er die Entwicklung seines Depots und muss im Frühjahr 2022 lernen, mit roten Zahlen und Kursstürzen umzugehen.

Hinter dem Hype stecken Leute wie Robin Kiera. Auf TikTok folgen dem Unternehmer und Speaker über 400.000 Menschen. Er gibt Tipps, wie man erfolgreich ist und sich ein Vermögen aufbaut. Den Reporter nimmt Kiera in die Mangel mit der Frage, warum er nicht schon viel mehr Geld in sein Aktiendepot gesteckt hat.

Auch wenn die einfach zu bedienenden "Neo-Broker-Apps" die Börse nach Hause auf die Couch geholt haben, pulsiert das Herz der deutschen Börse weiterhin in Frankfurt. Auf dem Parkett verstrickt sich Nico Schmolke mit dem Aktienhändler Benedikt Vierkotten in Diskussionen um den Sinn und Unsinn, mit Geld Geld zu verdienen.

Der Reporter lässt sich dazu hinreißen, auch mal eine Einzelaktie zu kaufen. Am Tag der Eröffnung des Tesla-Werks bei Berlin setzt er auf Kursgewinne beim Elektro-Autohersteller. Bei einem Besuch vor Ort stößt er auf den Gegensatz zwischen Tesla-Fans, die sich über den Unternehmenserfolg und steigende Aktienkurse freuen, und Sitzblockierern, die auf den Wassermangel in der Region hinweisen und von der Polizei weggetragen werden müssen. Es gibt eben doch kein Wachstum und keinen Kursgewinn ohne Nebenwirkungen.

Zum großen Rundumschlag gegen das System Börse holt der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis aus. In Athen sagt er zu Schmolke: "Wer dich mit langfristigen Prognosen über zwangsläufige Aktiengewinne zum Kauf anregt, sollte verhaftet werden." Er ruft ins Gedächtnis, wie hart der Crash war, der in Griechenland auf jahrelange Euphorie über freie Märkte und Börsengänge folgte. Varoufakis will nicht akzeptieren, dass man als Einzelner von der Gesellschaft nicht länger vor Altersarmut geschützt wird.

Der Fall von Sabine Mulla lässt den Reporter zweifeln: Sie hat durch den Wirecard-Skandal mehr als 20.000 Euro verloren, die sie in die Aktien des Unternehmens gesteckt hatte. Klar, man soll seine Anlagen immer diversifizieren, nie nur auf ein Unternehmen setzen. Doch Wirecard war von Politik und Bankenaufsicht propagiert worden. Wie hätte ein Laie dann diesen gewaltigen Zusammenbruch erahnen können?

Im Bundestag versucht Rentenpolitiker Johannes Vogel von der FDP jedoch klarzumachen, dass es ohne Aktien bei der Altersvorsorge nicht länger geht. Noch 2022 will er im Parlament den Einstieg in die Aktienrente durchsetzen. Schmolke konfrontiert ihn mit der Kritik: Was ist mit seiner Rente, wenn die Börse kollabiert? Und wäre das nicht neokolonial, wie Varoufakis ihm mit auf den Weg gegeben hat, wenn seine Rente durch Aktiengewinne dank schwerer Arbeit von Menschen im globalen Süden erwirtschaftet wird? Vogel hält dagegen und zeigt ihm auf, warum Aktien und das dahinterstehende Weltbild für viele junge Menschen gerade so dermaßen attraktiv sind.

So wird dem "Rabiat"-Reporter am Ende klar, dass es aus individueller Sicht nichts Besseres als Aktien zu geben scheint, wenn man im Alter nicht verarmen will. Beruht seine Skepsis also nur auf alten Klischees und seiner fehlenden Erfahrung im Umgang mit Geld? Oder ist der Aktienhype tatsächlich hoch problematisch?

ARD/RB
Dokumentation
Wirtschaft: Wirtschafts-, Finanzpolitik

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