Lust oder Qual - Die vielen Seiten des Alleinseins

Film von Constanze Grießler
Mi 05. Apr
20:15 Uhr
Erstausstrahlung
Allein oder einsam: Seit der Coronakrise rückt das Thema in den Fokus der gesellschaftlichen Debatte. Doch nicht jeder Mensch, der allein ist, ist gleichzeitig einsam.

Gern Zeit mit sich selbst zu verbringen, hat keinen guten Ruf. Experten warnen vor Gesundheitsrisiken, sprechen von einer "Epidemie der Einsamkeit". Doch wo endet lustvolles Alleinsein, und wo beginnt quälende Einsamkeit?

In Großbritannien gibt es seit 2018 ein "Ministry of Loneliness". Immer mehr Länder setzen das Thema auf ihre Agenda, sprechen von einer Krankheit, die so gefährlich sei wie 15 Zigaretten pro Tag. Ein Drittel aller Österreicherinnen und Österreicher, Schweizerinnen und Schweizer und Deutschen lebt allein, Tendenz steigend, und wer den Immobilienmarkt beobachtet, merkt, dass Singlewohnungen dominieren.

Sarah Diehl zeigt in ihrem Buch "Die Freiheit, allein zu sein: Eine Ermutigung", warum vor allem Frauen immer noch zu wenig Räume zum Alleinsein haben. Für sie ist unabhängig sein ein "Bei-sich-sein", das auch Schaffenskraft wecken kann. Ein Zustand, ein Gefühl, das man in allen Religionen seit Jahrtausenden kennt.

Pater Christian lebt im Trappistenkloster Engelszell in Oberösterreich. Der frühere Jurist verbringt den Großteil seines Tages schweigend, auf der inneren Suche nach Gott. Er sagt: "Schweigen, Stille sind für uns Instrumente, Handwerkszeug. Wir schweigen nicht, weil das etwas ist, was uns Spaß macht, sondern wir versuchen, Lärmquellen auszuschalten, uns zu sammeln und konzentrieren uns auf unsere eigentliche Aufgabe. Die Regel des heiligen Benedikt definiert die Rolle eines Mönches als den Gott suchenden Menschen."

Andererseits kann das Alleinsein auch in Einsamkeit abgleiten und wird immer öfter auch als Epidemie, die uns krank macht, bezeichnet. Ist die Gesellschaft tatsächlich einsamer als früher?

Wissenschaftsjournalist und Soziologe Jakob Simmank spricht eher von sozialer Isolation als von Einsamkeit: "Hinter der vermeintlichen Einsamkeits-Epidemie versteckt sich vor allem ein soziales Problem." Für ihn ist Altersarmut ein klassischer Prädiktor für soziale Isolation. "Man sollte eher fragen, wie man verhindern kann, dass Menschen nicht unfreiwillig vereinzelt und isoliert sind", meint er und schlägt vor, dass etwa Nachbarschaftsprojekte nicht eingespart, sondern gefördert werden.

Projekte wie etwa das Generationencafé "Vollpension" in Wien, eine Initiative gegen Altersarmut und -einsamkeit. "Das ist wie meine Familie", sagt Lucia Hahn, eine der "Back-Omis", die dort arbeiten. Oder wie der Verein "Freunde alter Menschen", über den sich Jorge und Ateş in Berlin kennengelernt haben - mittlerweile verbindet die beiden eine besondere Freundschaft. Sie sehen sich zweimal im Monat, telefonieren wöchentlich. Jorge meint: "Ja, ich denke, wichtig ist, man weiß, dass der andere für dich da ist. Das ist das Wichtigste", und Ateş stimmt zu: "Es ist eine Freundschaft auf Augenhöhe."

Studien zeigen: Nicht nur alte, sondern auch junge Menschen kennen das Gefühl der Vereinzelung, des sich "lost" Fühlens, aber, und das betont auch Jakob Simmank, gleichzeitig sei das Alleinsein verpönt, was den Druck und die "Fear of missing out" ("FOMO") noch fördere - also die Bedenken, etwas zu verpassen.

Das bestätigt auch die Kärntner Comedienne Ina Jovanovic: "Man hat, glaube ich, als junger Mensch dann schon oft die Angst, einfach Sachen zu verpassen, wenn man nur zu Hause allein sitzt und die anderen leben so das Leben - vor allem mit Social Media - da sieht man ja dann noch mehr, wie cool das Leben der anderen ist. Und du selbst hast halt nicht das Geld oder nicht diese coolen Freunde oder die Möglichkeiten."

ORF/3sat
Dokumentation
Gesellschaft: Lebensstile/-entwürfe

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