Die Nordreportage: Zwischen Nobelhotel
und Suppengruppe

St. Georg
Film von Katrin Spranger
Do 09. Mär
01:39 Uhr
(Erstsendung: 24.01.2023)
Im Hamburger Stadtteil St. Georg treffen Welten aufeinander: arm und reich, schrill und angepasst, szenig und alternativ, alles liegt dicht beieinander.

Manche sagen, St. Georg sei wie New York. Andere finden: wie ein kleines Dorf. Die "Nordreportage" begleitet vier Bewohnerinnen und Bewohner des Hamburger Stadtteils, die wissen, was es heißt, in einem Dorf mit vielen Welten zu leben.

Der Kiosk von Ibo Tasdelen in der Langen Reihe ist so etwas wie die Zentrale des Viertels. Dorthin geht jeder, der schnell noch etwas braucht: Dosenbier, Champagner, Süßigkeiten für zehn Cent das Stück. Oder wer mal etwas loswerden will. Der 49-jährige Chef hat zusammen mit seinem langjährigen Mitarbeitenden Heiko für alles und jeden ein Ohr. Nur der Umsatz könnte während der Pandemie besser sein. Aber das gehe ja allen auf der Langen Reihe so, sagt Ibo versöhnlich.

Eigentlich ist die kalte Jahreszeit für die wohnungslose Künstlerin Nicole Förster eine Zumutung. Doch mit viel Disziplin und Organisation schafft sie es immer wieder aufs Neue, gut durch den Tag zu kommen. Top gestylt verlässt die 63-Jährige morgens ihren temporären Wohncontainer und findet in St. Georg, was sie braucht: Klamotten in Tauschboxen, eine Aufgabe bei der Suppengruppe der Kirche, Materialien für Kreativarbeit in einer Einrichtung für Langzeitarbeitslose. Ihr Traum: irgendwann eine eigene Wohnung zu besitzen. Jeden Tag hat sie ihn fest vor Augen.

Mario Regensburg arbeitet direkt gegenüber vom Hauptbahnhof im denkmalgeschützten Hotel "Reichshof". Als der Koch, der im renommierten Hamburger Sternehotel "Süllberg" gelernt hat, las, dass der "Reichshof" einen "Küchenrocker" suchte, bewarb er sich sofort. Wenn er sich jetzt nach der Coronapause eine neue Speisekarte ausdenken darf, lässt er sich gern von rockigen Bässen inspirieren.

Der Stylist Karl Gadzali liebt die queere Szene in St. Georg, ein fester Bestandteil des Viertels. Vieles kann er in seiner Gegend gleich um die Ecke besorgen: neue Haarteile im Hair-Shop oder Lebensmittel auf dem Steindamm. Das passt ihm gut, denn durch die Gegend zu hetzen ist nichts mehr für den über 50-jährigen Ex-Friseur. Nach einem Herzinfarkt hat er einen Gang runtergeschaltet und macht nur noch, was er wirklich will: kunstvolle Perücken für Dragqueens. Eine Bestellung für Amanda Cox, an der er gerade arbeitet, ist bald fertig.

ARD/NDR
Reportage
Gesellschaft: Stadtkultur/Landleben

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