Spanien lesen!

Das Gastland der Frankfurter Buchmesse 2022
Film von Felicitas von Twickel und Gerald Giesecke
Sa 15. Okt
19:21 Uhr
Erstausstrahlung
Spaniens Literatur ist weiblicher und diverser geworden. Ob Madrid-Krimi oder Geschichten leerer Dörfer auf dem Land: Das Spanien des 21. Jahrhunderts bereichert die Literaturszene.

Jenseits aller Klischees wie Sangria, Torero und Flamenco macht sich der Film auf die Suche nach dem, was Land und Leute bewegt: das Miteinander der Generationen, die Schere zwischen Stadt und Land sowie die anhaltende Auseinandersetzung mit Bürgerkrieg und Diktatur.

Das Gastland der Frankfurter Buchmesse 2022 wird dominiert von zwei Metropolen: Barcelona und Madrid. Doch daneben ist Spanien weitgehend ein leeres Land. "La España vacía" – "Das leere Spanien" ist längst zu einem geflügelten Wort geworden. Und es ist der Titel eines großen essayistischen Werks, das diesen Herbst auf Deutsch erscheint. Darin beschreibt der Journalist Sergio del Molino das langjährige Auseinanderdriften von Stadt und Land, die riesige Ödnis im drittgrößten Flächenland Europas.

Wie absurd es sein kann, wenn diese Welten aufeinandertreffen, zeigt der Schriftsteller Daniel Gascón mit seinen Romanen "Un hipster en la España vacía" ("Ein Hipster im leeren Spanien") und "La muerte del Hipster" ("Der Tod des Hipsters"). Darin schickt er einen postmodern-ökologisch-feministischen Städter aufs Land, der im Dorf seiner Tante auf eine überzeichnet altmodische Landbevölkerung trifft.

In einfachen Verhältnissen mitten auf dem Land ist Ana Iris Simón aufgewachsen. In ihrem Roman "Mitten im Sommer" begleitet sie ihre Großeltern, die fahrende Händler waren, und beschreibt zugleich das desillusionierte Lebensgefühl heutiger junger Leute. Simón, Jahrgang 1991, blickt mal melancholisch, mal aufbegehrend auf die Ankunft von Euro und Globalisierung in ihrer Heimat und lässt ein Spanien aufscheinen, das es so nicht mehr gibt, das sie vermisst und das sie anekdotenreich und humorvoll in Szene setzt. Doch ihr Buch spaltet auch, beklagt sie doch mit ihrer Familienchronik den Verlust traditioneller Werte. Das handelte ihr den Vorwurf ein, sie sei eine "linke Reaktionärin". "Mir wird vorgeworfen, dass ich zugleich zu kommunistisch und zu rechts sei", sagt Simón und meint: "Ich denke in Spanien ist diese Polarität auch wegen des spanischen Bürgerkriegs stark ausgeprägt."

Die Auseinandersetzung mit der Großeltern-Generation ist auch bei Elvira Sastre Thema. Bereits mit 14 Jahren wurde Sastre in Spanien als dichtende Bloggerin für Poetry-Slam bekannt, jetzt hat sie mit "Die Tage ohne Dich" ihr Roman-Debut vorgelegt. Es geht um einen jungen Mann und seine starke Verbundenheit zu seiner Großmutter, die im Bürgerkrieg als demokratische Lehrerin den Schrecken des Diktators erlebt. Für Elvira Sastre, Jahrgang 1992, ist der Blick auf die spanische Vergangenheit wichtig: "Nach und nach stirbt die Bürgerkriegs-Generation aus. Viele verängstigt, ohne je darüber gesprochen zu haben. Das ist traurig".

Frauen aus der Vergangenheit eine Stimme geben - das macht auf ganz andere Art auch die Sängerin Sheila Blanco. Sie hat Gedichte von bisher kaum bekannten, spanischen Dichterinnen aus den 20-50er Jahren vertont. "Die Idee, Gedichte zu vertonen kam mir, als ich erfuhr, dass es auch Frauen gab in der in Spanien wohl wichtigsten Dichter-Gruppe, der 'Generation 1927', zu der unser berühmtester Poet, Federico García Lorca, gehörte. Zu erfahren, dass Frauen dabei waren, hat für mich alles verändert". Mit ihren Konzerten verleiht Sheila Blanco den vergessen Poetinnen Spaniens im ganzen Land eindrucksvoll Gehör.

Spaniens Buchbranche boomt. Ob mit Bestseller-Autoren wie Ildefonso Falcones oder mit jungen Entdeckungen wie die Katalanin Irene Solà, ausgezeichnet mit dem Literaturpreis der Europäischen Union 2020.

Der Rechtsanwalt Falcones, erst mit 47 Jahren zum Schriftsteller avanciert, erzählt in seinem neuesten Werk "Die Tränen der Welt", unter welch großem Einsatz der einfachen Bevölkerung die berühmte Architektur Barcelonas entstanden ist. Irene Solà, Jahrgang 1990, dagegen erweckt mit ihrem Roman "Singe ich, tanzen die Berge" die atemberaubende Natur der Pyrenäen voller Poesie zum Leben.

Redaktionshinweis: 3sat ist dabei, wenn vom 19. bis 23. Oktober 2022 die Buchmesse Frankfurt wieder ihre Tore öffnet. Viele Lesungen, Gespräche und Veranstaltungen werden vor Ort, aber auch digital stattfinden.

Mit "Spanien lesen!" widmet sich 3sat der Literatur des Königreichs im Südwesten Europas – dem diesjährigen Ehrengast Spanien.

Spanien als Gastland der 74. Frankfurter Buchmesse ist auch beim 3sat-Magazin "Kulturzeit" von Mittwoch, 12. Oktober, bis Freitag, 14. Oktober 2022, jeweils um 19.20 Uhr, in ausgewählten literarischen Facetten zu sehen.

Bereits am Montag, 17. Oktober, berichtet "Kulturzeit" von der Verleihung des Deutschen Buchpreises. In den folgenden Tagen bis Freitag, 21. Oktober, ist das Magazin täglich vor Ort und stellt unter anderem den Preisträger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, Serhij Zhadan aus der Ukraine, vor.

Des Weiteren zeigt 3sat am Sonntag, 23. Oktober, 10.15 Uhr, mit "Das Blaue Sofa" eine 90-minütige Zusammenfassung der interessantesten Autorinnen- und Autorengespräche vor Ort in Frankfurt. Am Abend, um 18.00 Uhr, folgt eine Ausgabe von "Buchzeit", ebenfalls von der Frankfurter Buchmesse.

In der 3satMediathek sind die Lesungen und Gespräche auf dem "Blauen Sofa" live zu verfolgen.

Die Dokumentation "Spanien lesen!" ist ab Samstag, 15. Oktober 2022, für fünf Jahre in der 3satMediathek abrufbar.

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