Kaminer Inside: documenta 15

Film von Nadja Kölling
mit Wladimir Kaminer
Sa 27. Aug
22:09 Uhr
Erstausstrahlung
Die documenta in Kassel gilt als wichtigste Kunstausstellung weltweit. Doch was 2022 als großes Fest der Kunst geplant war, geriet zum Skandal.

Der Schriftsteller Wladimir Kaminer ist nach Kassel gereist, um auf dieser politisierten "documenta fifteen" zu fragen: "Was und wo ist eigentlich die Kunst?"

An 32 Ausstellungsorten, über die ganze Stadt verteilt, werden noch bis zum 25. September 2022 Millionen von Besucherinnen und Besuchern entdecken können, was die Ausstellungsmacher der 15. documenta als Gegenwartskunst präsentieren. Mehrfach hat Wladimir Kaminer Kassel und die Weltkunstschau besucht und sich im Gespräch mit Profis der Szene einem gänzlich neuen, sehr politisch geprägtem Kunstbegriff angenähert.

Erstmals hat ein indonesisches Künstlerkollektiv in Kassel die künstlerische Leitung übernommen: Ruangrupa entwickelt für die "documenta fifteen" ein radikal neues Konzept, angelehnt an das indonesische "lumbung", eine gemeinschaftlich genutzte Reisscheune, in der die überschüssige Ernte zum Wohle der Gemeinschaft gelagert wird. Es geht um die Idee des Teilens von Ressourcen zum Wohle aller. Mit Farid Rakun, einem der Ruangrupa-Künstler, spricht Wladimir Kaminer über Sinn und Zweck: "Kunst ist Leben. Und 'lumbung' ist eine Lebensweise. Wir wollen Gemeinschaft und Nachhaltigkeit in den Vordergrund bringen."

Doch statt der Gemeinschaft zu feiern, provozierte die "documenta fifteen" gleich zu Beginn einen handfesten Skandal. Auf einem prominent platzierten Banner des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi wurden antisemitische Darstellungen entdeckt. Bereits im Vorfeld waren antisemitische Anschuldigungen gegen Ruangrupa laut geworden. Die Künstler und Kollektive haben sich entschuldigt und die Vorwürfe von sich gewiesen, doch welche Konsequenzen der Antisemitismus-Eklat nach sich ziehen wird, ist noch unklar. Fest steht: Der Skandal überschattet die gesamte Kunstausstellung, bei der es ausgerechnet um Dialog und Miteinander gehen sollte, und die politischer ist als all ihre Vorgänger.

"Worum geht es hier eigentlich, um Politik oder Kunst", fragt Wladimir Kaminer? "Wo ist denn hier die Kunst, wo sind die wunderschönen Gemälde, die ich mir im Wohnzimmer an die Wand hängen kann?" Er trifft Künstler wie Njoki Ngumi und Sunny Dolat von "The Nest Collective", die Altkleiderballen zu einem riesigen Pavillon aufgetürmt haben. Mit einem Film im Innern will die Installation "Return to Sender" auf die Müllproblematik aufmerksam machen, mit der unbrauchbare Altkleider aus dem globalen Norden nach Afrika verschickt werden. Politischer Aktivismus mit einer klaren Botschaft, meint Kaminer - aber: Kunst?

Kaminer spricht mit dem rumänischen Künstler Dan Perjovschi, der eine gigantische Zeitung auf den Asphalt zeichnet und die Säulen des ehrwürdigen Fridericianums in Kolumnen verwandelt. Mit den Vertretern von "Trampoline House" spricht Kaminer über das rigide Asylsystem Dänemarks. "Wir machen politische Kunst, sozial engagierte Kunst. Darum geht es hier bei der documenta 15, um neue Modelle des Miteinanders zu zeigen und voneinander zu lernen", erklärt Tone Olaf Nielsen.

Von Andrea Linnenkohl, General Coordinator der Ausstellung und Mitglied des künstlerischen Teams, lässt sich Kaminer die Ziele und Ausrichtung der "documenta fifteen" erklären: "Es geht documenta-Ausstellungen nicht darum, eine Ästhetik zu zeigen, die ausschließlich glücklich macht, sondern zu zeigen, was gerade in der Welt passiert - und eben auch Missstände aufzuzeigen und sie an das Publikum so zu transportieren."

Einen der bekanntesten Kunstsammler Deutschlands, Harald Falckenberg, bittet Kaminer um eine Einschätzung über die Grenzen zwischen Kunst und Politik. "Diese Sprache über die Bilder, die unsere ganze Gesellschaft mehr und mehr beherrscht, die wird hier konsequent abgebildet. Die documenta ist ein Spiegelbild der Wirklichkeit. Und da kann man sagen, diese Wirklichkeit ist sehr blöd und doof. Oder man kann sagen, sie ist gut", meint Falckenberg.

Vom Kassler Szenebar-Besitzer Dirk "Bob" Wachholder erfährt Kaminer, wie sehr die documenta die Kleinstadt und ihre Einwohner prägt. Erstmals werden nun Wachholders Bar und der umliegende Hof zum Ausstellungsort der Kunstschau. Allerdings: Auch dort gibt es kaum Kunstwerke im klassischen Sinne. Stattdessen finden Besucher eine radikal neue Interpretation des Kunstbegriffs: Veranstaltungen, Partys, Workshops - es geht um Gestaltung.

Was genau ist Kunst denn nun eigentlich, fragt sich Wladimir Kaminer und findet Antworten auf dieser sehr besonderen documenta.

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