Ich bin Autist - Mein steiniger Weg zum passenden Job

Film von Elke Thiele
Fr 17. Feb
11:37 Uhr
(Erstsendung: 27.11.2022)
Ihre Schul- und Ausbildungsabschlüsse sind oft überdurchschnittlich, aber im Job fassen sie kaum Fuß: 90 Prozent der autistischen Menschen haben keine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt.

Ihre Karrieren sind geprägt von Brüchen, Jobwechseln, Arbeitslosigkeit. Warum das so ist und welche Lösungen es gibt, davon erzählt diese Dokumentation.

Michael Kretschmer, heute angestellt bei DHL, hat alle zwei bis drei Jahre die Arbeitsstelle gewechselt. Wie andere Autisten auch, kann er Umgebungsreize schlecht filtern, Kommunikation stresst ihn. Ständige Überforderung und das Gefühl, nicht zu genügen, werfen ihn regelmäßig aus der Bahn. Er selbst ahnte es schon längst, aber erst jetzt, mit 57 Jahren, hat er die Diagnose schwarz auf weiß. Er weiht die Kollegen ein und hofft auf Akzeptanz und Rücksichtnahme. In Zukunft will er sich nicht mehr verstellen müssen: Dieses "Maskieren" raubt ihm zunehmend die Kraft für die Arbeit.

Die Gründe für die geringe Beschäftigungsquote bei Autisten sind - natürlich - vielfältig. Introvertierten Einzelgängern wird die Teamfähigkeit abgesprochen, Kollegen mit Ticks werden als anstrengend empfunden, ihr Wunsch nach strukturierten Abläufen als unflexibel abgetan. Wissen und ein Mindestmaß an Verständnis hilft - und staatliche Förderung auch. Auf diese haben Menschen mit Behinderung gesetzlichen Anspruch.

Die Werkstatt für behinderte Menschen hat Maria Schünemann den Einstieg ins Erwerbsleben geebnet. Nach Rückschlägen in der Ausbildung und Arbeitslosigkeit konnte die Autistin dort eine Aufgabe und Anschluss finden. Als sie in den ersten Arbeitsmarkt wechseln wollte, bekam sie von der Werkstatt jede erdenkliche Unterstützung. Heute betreut Maria Schünemann Senioren in einem Pflegeheim. Ihr Platz auf dem ersten Arbeitsmarkt wird gefördert mit dem "Budget für Arbeit", einem Lohnkostenzuschuss. Der soll ausgleichen, was Maria Schünemann weniger schaffen kann als ihre Kollegen. Heute ist sie stolz, den Schritt aus der Werkstatt heraus geschafft zu haben. Aber die hohen Anforderungen an einem reizüberfluteten Arbeitsplatz spürt sie. Jeden Tag.

Die Frage, wohin sie sich beruflich entwickeln wollen, überfordert viele Jugendliche - Autisten noch mehr. Berufsbildungswerke sind in Deutschland die üblichen Anlaufstellen für Auszubildende mit Hilfsbedarf. Xenia Klunker hat in Gera die Ausbildung zur Fachpraktikantin für Bürokommunikation begonnen. Im dortigen Berufsbildungswerk sind 80 von 300 jungen Menschen Autisten. Diese Zielgruppe wird dort schon seit Jahren bedürfnisorientiert betreut. Angepasste Ausbildungs- und Wohnformen sowie spezifisch geschultes Personal sind Voraussetzung für die Zertifizierung zum "Autismusgerechten BBW". Auf dieses Siegel arbeiten die Geraer gerade hin.

Oft sind es nur kleine Dinge wie ein reizarmes Umfeld und Verständnis für Eigenheiten, die autistischen Mitarbeitern das Arbeitsleben erleichtern. Manchmal braucht es Coaching oder Fördermittel für die Eingliederung. Eine Arbeitswelt, die händeringend Fachkräfte sucht, kann und sollte auf das brachliegende Potenzial autistischer Menschen nicht verzichten.

ARD/MDR
Dokumentation
Gesellschaft: Arbeits- und Berufsleben

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