Sex, Porno und die Freiheit der anderen

Was von der sexuellen Revolution blieb
Film von Florian Kröppel und Kurt Langbein
Mi 03. Aug
20:15 Uhr
Erstausstrahlung
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden Liebe, Sex und Partnerschaft von vielen Tabus befreit. Das befreite vor allem die Frauen. Dann gewann der Kommerz oft die Oberhand.

Heute herrschen Kommerzialisierung, Suche nach Identität und neue Prüderie. Die damals angestrebte Befreiung von allen gesellschaftlichen und moralischen Fesseln blieb Utopie.

Nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte eine Sexualmoral, die geprägt war von Tabus und Drohbotschaften: Wer sich selbst befriedigte, riskierte angeblich Rückenmarkschwund oder abfaulende Hände. Der weibliche Organismus fand so gut wie kaum Beachtung. Mitunter wurde er sogar als schädlich betrachtet. Klar getrennte Geschlechterrollen und romantisierte Häuslichkeit waren die vorherrschende Lebensform. Homosexualität war pathologisiert und kriminalisiert. Und auch wenn die ersten Pin-ups der Amerikanischen GIs die Fantasie der Männer auf ein ungeahntes Niveau beförderte: Die Sexualität war - zumindest an der Oberfläche - unfrei.

Eine Ära, die Christa Schwertsik noch in lebhafter Erinnerung hat. Die im Krieg geborene österreichische Schauspielerin trifft ihre Enkelin Fanny Altenburger, um über die Lust von damals und den Sex von heute zu sprechen. Dass die 22-jährige Enkelin Beziehungen mit beiderlei Geschlecht pflegt, scheint die Großmutter kaum zu überraschen: "Ich glaube, dass es Beziehungen der verschiedensten Art immer schon gegeben hat. Du kannst nur jetzt das offener zeigen oder offener leben in dieser oder jener Konstellation. Aber ich glaube nicht, dass die Menschen sich geändert haben."

Heute scheinen die Moralvorstellungen der 1960er-Jahre wie ein Schatten aus einer dunklen Epoche. Der Aufbruch in der "Sexuellen Revolution" hat Enttabuisierung, aber auch Kommerzialisierung gebracht. Heute haben vor allem Jugendliche andere Probleme und Fragestellungen in Bezug auf ihre Sexualität: Welches Geschlecht habe ich? Welche Sexualpartner*innen präferiere ich - und wenn ja, wie viele? Wie entziehe ich mich der ständigen Präsenz der Pornografie? Sind nun alle Tabus gefallen?

Für den renommierten Wiener Sexualwissenschaftler Johannes Wahala ist die Zeit einer von oben gelehrten Moral längst vorbei. Stattdessen sei es notwendig geworden, individuell die Grenzen von Richtig und Falsch festzulegen: "Genau darin besteht die Herausforderung des neosexuellen Zeitalters. Die Verhandlungsmoral oder Konsens-Moral ist das zu erstrebende Ideal. Das setzt voraus, dass wirklich zwei oder mehrere gleichwertige Partner und Partnerinnen sich auch wirklich auseinandersetzen und miteinander zu einem Konsens kommen. Davon sind wir noch weit entfernt. Die sexuelle Liberalisierung hat eines gebracht, dass sie nämlich Sexualität geschlechtergerechter machen wollte und nicht nur zu Beute des Mannes oder zu seiner Triebbefriedigung dient."

Das Kultivieren einer offen ausgesprochen Konsensmoral hat sich auf der Wiener Verein "Die Schwelle" zum Ziel gesetzt. Seit 2013 besteht dort ein sexpositiver Raum, in dem nicht nur Party gefeiert wird. Es sind vor allem die Workshops, die das Publikum anlocken. Beim sognannten Play-Fight wird das Ja- und Nein-Sagen geübt.

Solche Angebote standen Ute und Johann Giffey nicht zu Verfügung, als sie sich in den 1980er-Jahren ineinander verliebten. Die beiden Sexualtherapeuten leiten seit über 25 Jahren eine gemeinsame Praxis in Linz. Kaum etwas, was sich in Schlafzimmern der Menschen abspielt - oder eben nicht abspielt - ist den beiden fremd. Sie sehen große Fortschritte, die seit der sexuellen Revolution gemacht wurden. In Hinblick auf ihre eigene Jugend bemerken aber auch sie, dass sich eine neue Prüderie in die Gesellschaft einschleicht.

ORF/3sat
Dokumentation
Kultur: Erotik/Sexualität

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