Mala Emde / Copyright: ZDF/Maximilian Baier

Interview mit Mala Emde, die Anne Frank im Film "Anne Frank. Tagebuch einer Jugendlichen" ihre Stimme leiht

Durch die von Schauspielerin Mala Emde gelesenen Tagebucheinträge bekommt Anne Frank im Film eine Stimme. Katharina Rudolph hat das Interview mit der Schauspielerin für den 3sat-Pressetreff geführt.

Dokumentarfilm
Erstausstrahlung

Frau Emde, Sie haben ja schon mal in einem Anne-Frank-Film mitgespielt. Wie kam es zu Ihrer Beteiligung an diesem neuen Filmprojekt?

Für die Sprecherrolle im jetzigen Film wurde ich angefragt. Anfangs war ich skeptisch, aber ich habe mir dann die französische Version des Films angeschaut und Lust bekommen. Es ist zehn Jahre her, dass ich den Film "Meine Tochter Anne Frank" gedreht habe. Manche meiner Filmfiguren sind ein bisschen so wie unsichtbare Freunde. Und Anne ist eine von denen. Sie ist bei mir geblieben, weil sie mir so viel bedeutet hat.

Warum bedeutet sie Ihnen so viel?

Ich habe das Gefühl, sie bringt mir etwas bei: dein Leben als Hauptperson zu führen. Sie ist immer so ehrlich zu sich selbst, geht so streng mit sich ins Gericht – und gleichzeitig steht sie so klar für sich ein. Ich denke, das wollte ich von ihr mitnehmen.

Wie war es, Anne Franks Tagebuchpassagen jetzt, zehn Jahre später, noch einmal zu sprechen?

Das war irre. Ich bin ins Tonstudio gegangen und es war wie ein Flashback: Ich kannte plötzlich alle Texte wieder. Für den ersten Film hatte ich 200 Seiten Tagebuch auswendig gelernt. Die hatte ich eigentlich vergessen. Aber in dem Moment im Tonstudio kam alles wieder. Ich wusste, welches Wort welche Bedeutung hat. Und dann habe ich mich einfach nur fallenlassen. Das Material dieses neuen Films und meine alte Erfahrung, die haben sozusagen miteinander getanzt.

Haben Sie durch die Arbeit an diesem Film auch etwas Neues über Anne Frank gelernt?

Was mir vorher nicht so klar war, ist die Kraft, die darin liegt, deine Gedanken ernst zu nehmen und sie aufzuschreiben. Das ist mir in diesem Film auch durch die Montage-Sequenzen mit den jungen Leuten bewusst geworden. Das wünsche ich allen jungen und auch alten Menschen: Dass sie zu Stift und Papier greifen und ihre Gedanken aufschreiben – und dadurch Dinge begreifen, die in ihnen stecken. Auf dem Papier darf alles stattfinden.

Was für einen Unterschied macht es, Anne Frank "nur" über Ihre Stimme darzustellen, anstatt sie auch mit Mimik und Gestik zu verkörpern?

… dass ich innerlich platze, wenn ich sie nur mit meiner Stimme verkörpere. Mein Körper will spielen. Im Tonstudio habe ich den Film gesehen und mich dabei ganz viel bewegt, weil ich das Gefühl hatte, die Rolle braucht Platz. Im besten Fall macht Kunst genau das: sie bringt uns in Bewegung. Das Filmgucken ist für mich niemals damit beendet, dass ein Film zu Ende ist. Er macht etwas mit uns. Ich erinnere mich an diese Passage in Anne Franks Tagebuch, in der sie sinngemäß sagt: Ich blicke nach draußen auf den Himmel und sehe, wie der Kreis immer enger wird. Und auf einmal schauen wir als Zuschauerinnen und Zuschauer in den Himmel und sind dankbar dafür, dass wir keinen engen Kreis über uns haben.

Wie schaffen Sie innere Distanz zu einer so tragischen Figur?

Da spielt Zeit eine Rolle. Normalerweise bin ich, wenn ich drehe, jeden Tag mit meinem ganzen Körper in der jeweiligen Figur, und oft sind die Drehtage lang. Das ist ein bisschen wie ein Dauerlauf. Es braucht dann manchmal Monate, bis ich eine Figur loslassen und mich wiederfinden kann. Bei so einer Sprecherrolle ist die Zeit kürzer. Das ist mehr wie ein Sprint. Du rennst rein, sprichst die Passagen, dann kommen so Endorphin-Rushes, und am nächsten Tag hast du sowas wie Muskelkater – aber dann ist es auch wieder gut.

Man könnte kritisch fragen: Braucht es wirklich noch einen Film über Anne Frank?

Ich denke, in Filmen geht es selten nur um die Handlung. Es werden ja oft dieselben Geschichten erzählt. Es geht um die Weise, wie jemand erzählt. Wenn wir vor einem Kamin sitzen und jemand ein guter Geschichtenerzähler ist, dann kann er dir das Märchen von Rotkäppchen so erzählen, als hättest du es noch nie gehört. Es geht also darum, ob wir es schaffen, Geschichten neu zu erzählen.

Und erzählt der Film die Geschichte von Anne Frank neu?

Der Film streckt die Hand ins Jetzt aus – in zweierlei Hinsicht: Anne Frank könnte, wäre sie nicht durch die Nazis umgekommen, noch am Leben sein. Es ist fast die sehnsüchtige Hand, die Anne Frank in unsere Richtung streckt und mit der sie sagt: Ich wäre so gern ein Teil von euch gewesen. Und zum anderen sagt sie: Das hier ist eure Geschichte. Vergesst sie nicht, beziehungsweise macht sie euch zu eigen, im Jetzt. Wenn Anne sprechen könnte, ich glaube, sie würde sagen: Ich durfte nicht leben, also lebt für mich!

Der Film bewegt sich ja auch in politischer Hinsicht in die Gegenwart: Am Ende wird Anne Franks Vater, der als einziger der Untergetauchten überlebt hat, mit folgenden Worten zitiert: "Diese Verfolgungen gibt es in vielen Ländern noch immer, nicht nur aufgrund von Rasse und Religion, sondern auch wegen politischer Überzeugungen. Was können wir tun?"

Der Film ist ein Exempel dafür, was Rassismus mit Menschenleben machen kann. Das hat nichts mit der Vergangenheit zu tun, die ist vergangen. Es geht um uns, um heute. Am Anfang sehen wir den gedeckten Frühstückstisch in der Wohnung der Franks, die sie Hals über Kopf verlassen müssen. Das kann uns allen passieren. Man kann nicht sagen, das hier sind Menschen, die sind Verfolgte, Geflüchtete, und das sind die anderen, die sind es nicht. Die äußere politische Situation muss sich nur ein bisschen ändern – und schon bin ich die Verfolgte. Mein eigener Küchentisch, an dem ich jetzt gerade sitze, könnte genauso einfach verlassen werden, weil ich ganz schnell meine Sachen packen muss. Und das ist mir so reingefahren.

Was hat Ihnen an Anne Franks Reaktion auf ihre schwierige Situation besonders imponiert?

Was ich an Anne bewundere, ist dieser ungebrochene Mut. Sie ist in diesem kleinen Raum, sie könnte wahnsinnig werden. Und sie glaubt trotzdem daran, dass alles gut wird – ohne dabei naiv zu sein. Sie erinnert sich daran, was für sie wichtig ist, unabhängig von den äußeren Umständen. Sie schafft sich ihre innere Freiheit und bleibt kreativ und gefühlvoll und dadurch unglaublich unabhängig.

Sie scheint ein beeindruckend positiver Mensch gewesen zu sein …

Ja, ich denke, sie ist mit diesem Optimismus geboren. Man kann sich extrem glücklich schätzen, wenn man mit optimistischen Gedanken durch diese Welt läuft, die ja in mancher Hinsicht krankt. Wie schafft man es trotzdem, mit einem Lächeln durch die Welt zu gehen – ohne dabei aus den Augen zu verlieren, wo man ist? Ebenso wie Anne: Sie ist absolute Realistin. Sie sieht all die Schrecken, sagt aber: Und dennoch habe ich das Kindsrecht, glücklich zu sein.

Hauptabteilung Kommunikation

Dr. Britta Schröder, Dr. Katharina Rudolph
schroeder.bwhatever@zdf.de; rudolph.kwhatever@zdf.de
Mainz, 21. Februar 2025
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