Karl Fischer (Mitte) als Franz Murer / Copyright: ZDF/ORF/Prisma Film/Ricardo Vaz Palma

"Murer – Anatomie eines Prozesses": Preisgekröntes Gerichtsdrama

Deutsche Erstausstrahlung

Am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg. Doch die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit hält bis heute an. Wie schleppend, ja skandalös die politische, gesellschaftliche und nicht zuletzt juristische Auseinandersetzung mit den Nazi-Verbrechen im Österreich der Nachkriegszeit erfolgte, zeigt der Film "Murer – Anatomie eines Prozesses" von Christian Frosch. Der vielfach ausgezeichnete Schauspieler und Filmemacher Karl Markovics verkörpert den Publizisten, Rechercheur und "Nazijäger" Simon Wiesenthal, Karl Fischer den ÖVP-Lokalpolitiker und Großbauern Franz Murer. 3sat zeigt das österreichisch-luxemburgische Gerichtsdrama am Freitag, 17. November 2023, um 20.15 Uhr in deutscher Erstausstrahlung.

 

Der Film steht vom 10.11.2023, 10.00 Uhr, bis zum 10.12.2023, 23.59 Uhr, in der 3satMediathek.

Film
Fr 17. Nov
20:15 Uhr

Österreich 1963: In Graz steht der angesehene ÖVP-Lokalpolitiker und Großbauer Franz Murer (Karl Fischer) vor Gericht. Rund 20 Jahre vorher war er während des Zweiten Weltkriegs im litauischen Vilnius als Stellvertreter des Gebietskommissars "zuständig für jüdische Angelegenheiten". In dieser Funktion machte er sich einen Namen als "Schlächter von Vilnius": Zwischen 1941 und 1943 hatte er entscheidenden Anteil daran, dass im "Jerusalem des Ostens" von zuvor rund 80 000 jüdischen Bewohnerinnen und Bewohnern nur etwa 600 überlebten. Nach Kriegsende wurde Murer zwar in der Sowjetunion wegen Mordes verurteilt, doch nach fünf Jahren schob man ihn nach Österreich ab – unter der Bedingung, dass ihm dort der Prozess gemacht werde. Doch dieser Prozess fand zunächst nicht statt.

 

Anfang der 1960er-Jahre findet der Holocaust-Überlebende Simon Wiesenthal (Karl Markovics) durch Zufall heraus, dass der "Schlächter von Vilnius" völlig unbehelligt in der Steiermark lebt. Wiesenthal baut seit 1961 in Wien das Dokumentationszentrum des Bundes Jüdischer Verfolgter des Naziregimes auf. Beharrlich sammelt er Beweismittel gegen die Verantwortlichen für den Völkermord. Dabei entdeckt er nicht nur den ehemaligen SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, der 1961 in Jerusalem zum Tode verurteilt wird, sondern eben auch Franz Murer. Wiesenthal sorgt dafür, dass es schließlich zum Prozess von Graz kommt.

 

Fassungslos muss Simon Wiesenthal allerdings erleben, wie der Kriegsverbrecher, der längst als ehrbares Mitglied der Nachkriegsgesellschaft gilt, vor Gericht als harmloser steirischer Bauernsohn im Trachtenjanker, als treu sorgender Familienvater und unbescholtener Spätheimkehrer auftritt. Mit dem Brustton der Überzeugung reklamiert Murer für sich: "Nicht schuldig in allen Anklagepunkten". Im Laufe des Verfahrens reichen die Aussagen unzähliger Zeuginnen und Zeugen, darunter vor allem Überlebende der Shoah, nicht aus, um ihn zu verurteilen. Politik und Gesellschaft im Österreich der Nachkriegszeit wollen endlich einen Schlussstrich unter die Nazi-Vergangenheit ziehen. Der "Schlächter von Vilnius" wird freigesprochen. Seine Verbrechen bleiben bis zuletzt ungesühnt. Franz Murer stirbt 1994 als freier Mann, kurz vor seinem 82. Geburtstag.

 

"Murer – Anatomie eines Prozesses" eröffnete 2018 das Grazer Festival Diagonale und wurde dort mit dem Großen Preis als "Bester Spielfilm" ausgezeichnet. Hinzu kamen u.a. der Wiener Filmpreis der Viennale und der Österreichische Filmpreis 2019. Doch es gab nicht nur Lob: Regisseur Christian Frosch erhielt auch Morddrohungen. Über 70 Jahre nach Kriegsende ist dieser Film offenbar mehr als ein spannendes Historiendrama über einen der größten Justizskandale der Zweiten Republik Österreichs. Er wirkt bis in die Gegenwart und markiert weiterhin einen wichtigen Beitrag zur Auseinandersetzung mit einem der finstersten Kapitel der österreichischen und der deutschen Geschichte. Christian Frosch, der auf der Basis der originalen Gerichtsprotokolle auch das Drehbuch schrieb, gewährt in seiner filmischen Erzählung über das Jahr 1963 tiefe und erschütternde Einblicke in noch tiefere Schichten der Vergangenheit. Mit dem bereits im Titel angedeuteten anatomischen Blick nähert er sich den Protagonisten des Prozesses: dem Angeklagten, dem juristischen Personal, dem Publikum im Saal des Grazer Gerichts. Auf der Suche nach der Wahrheit zeigt er die Akteure aus unterschiedlichsten Perspektiven, mal theaterhaft distanziert und dann wieder schmerzhaft nah in Szenen, die unter die Haut gehen. Dabei spielt Karl Fischer den Franz Murer stets als einen Mann, dessen oberstes Ziel es ist, nicht aus der Rolle des unschuldigen Biedermanns zu fallen, dessen wahres Gesicht und wahre mörderische Vergangenheit aber für die Zuschauerinnen und Zuschauer immer offenbar bleibt.

 

Fotos zum Film "Murer – Anatomie eines Prozesses" finden Sie hier.

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Claudia Hustedt
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Mainz, 28. September 2023