Keine heile Familie: André (Jeremy Hoffmann), Sandrine (Sarah Spale) und Mia (Luna Mwezi); Copyright: ZDF/SRF, Aliocha Merker

"Platzspitzbaby": Schweizer Coming-Of-Age-Drama mit Luna Mwezi und Sarah Spale

Deutsche Erstausstrahlung

Die elfjährige Mia (Luna Mwezi) zieht nach Auflösung der offenen Drogenszene in Zürich mit ihrer drogensüchtigen Mutter Sandrine (Sarah Spale) aufs Land. Mia hofft, dass ihre Mutter endlich von den Drogen loskommt. Aber der Teufelskreis, in dem Sandrine steckt, dreht sich immer weiter. Der Schweizer Spielfilm "Platzspitzbaby" (Regie: Pierre Monnard, Schweiz 2020) basiert auf dem gleichnamigen autobiografischen Buch von Michelle Halbheer. 3sat zeigt die authentische Coming-Of-Age-Geschichte am Mittwoch, 22. November 2023, um 22.10 Uhr, in deutscher Erstausstrahlung. Für ihre Rolle als drogensüchtige Mutter wurde die Schauspielerin Sarah Spale 2021 mit dem Schweizer Filmpreis als Beste Darstellerin ausgezeichnet.

Film
Mi 22. Nov
22:10 Uhr

STAB

Rolle                 Darsteller     
Sandrine           Sarah Spale
Mia                    Luna Mwezi    
Buddy Franco   Delio Malär    
André                Jerry Hoffmann    
Lola                   Anouk Petri    
Gasser              Kaspar Käser    
Serge                Thomas U. Hostettler    
Sophie               Jael Toppler    
Kieran               Emilio Marchisella    

 

INHALT

Frühling 1995: Nach der Auflösung der offenen Drogenszene in Zürich ziehen die elfjährige Mia und ihre Mutter Sandrine in ein idyllisches Städtchen im Zürcher Oberland. Mia hofft, dass jetzt alles anders wird als bisher, und eine Zeit lang sieht es auch so aus, als würde Sandrine ihre Sucht in den Griff bekommen. Bis sie einen alten Bekannten trifft, der mit anderen zusammen etwas außerhalb des Städtchens wohnt. Sie wird rückfällig und kann sich kaum noch um ihre Tochter kümmern. Meist auf sich allein gestellt, flüchtet sich Mia in eine Fantasiewelt mit einem imaginären Freund. Mit ihm unterhält sie sich in den einsamen Stunden und schmiedet fantastische Pläne für ein Inselleben mit ihrer Mutter, fernab der Drogen. Obwohl Mia mit aller Kraft um ihre Mutter kämpft, beginnt die Situation zunehmend zu eskalieren. In der Schule ist Mia eine Außenseiterin. Bis sie drei Jugendliche aus ähnlich schwierigen Verhältnissen kennenlernt, mit denen sie sich anfreundet. Um dazuzugehören, wagt sie den Sprung von einer Eisenbahnbrücke in den Fluss und findet in dieser Kinder-Gang eine Art Ersatzfamilie - und immer mehr auch die Kraft, sich gegen ihre alles beherrschende Mutter aufzulehnen.

 

ANMERKUNGEN VON ANDRÉ KÜTTEL (AUTOR) UND PIERRE MONNARD (REGIE)

"PLATZSPITZBABY ist eine schier unglaubliche Geschichte, die schon beim Erscheinen des gleichnamigen Buches für einigen Aufruhr sorgte. Zum ersten Mal erzählte jemand, wie es war, als Kind im Drogenmilieu, hier in der Schweiz, aufzuwachsen. Es ist eine Geschichte der vergessenen Kinder. Vergessen von den eigenen drogensüchtigen Eltern und vergessen von überforderten Behörden, die sich nach der Schliessung der Drogenszene in Zürich völlig unvorbereitet um Schwerstabhängige kümmern mussten, die plötzlich in ihren beschaulichen Gemeinden auftauchten. Das Buch von Michelle Halbheer avancierte zum Bestseller, die Zeitungen berichteten ausgiebig darüber und das Fernsehen hat sogar einen 'Zyschtigsclub' dazu gemacht. Während der Drehbuchentwicklung trafen wir uns mehrmals mit Michelle Halbheer und führten intensive Gespräche mit ihr. Dabei erzählte sie uns auch viele Geschichten, die in ihrem Buch nicht vorkommen. Diese Gespräche bereicherten den Entwicklungsprozess ungemein und halfen, eine packende und authentische Coming-Of-Age-Geschichte entwickeln zu können.

PLATZSPITZBABY wird fast ausschliesslich aus der Sicht der elfjährigen Protagonistin Mia erzählt. Wir begleiten sie durch ihr Leben zu Hause, in der Schule und in der Freizeit mit ihrer Clique und zeigen dem Zuschauer, wie sich Mia einem schweren Dilemma stellen muss. So schwer, dass selbst viele Erwachsene damit überfordert wären: Wie viel bist du bereit zu opfern, um eine geliebte Person zu retten? Dein ganzes Leben? Deine eigene Existenz? Und wie lange kannst du zusehen, wie deine engste Bezugsperson 
sich selbst zerstört, bevor du selber daran zerbrichst? Für Mia scheint die Antwort klar zu sein: Sie spürt eine übermächtige Sehnsucht nach der Liebe ihrer Mutter Sandrine und will diese unter allen Umständen retten. Eine fatale Abhängigkeit, aus der Mia sich erst am Ende befreien kann. Man könnte fast sagen: So wie Sandrine süchtig ist nach Heroin, so ist Mia süchtig nach Sandrine. Es ist diese verzweifelte und selbstzerstörerische Liebe von Mia zu Sandrine, die den Kern des Films ausmacht. Unser Ziel ist es, diese Mutter-Tochter-Beziehung so roh, authentisch und so emotional wie möglich zu zeigen.

PLATZSPITZBABY unterscheidet sich jedoch von anderen 'Drogenfilmen', wie z.B. REQUIEM FOR A DREAM durch die Umkehrung der Sichtweise. Wir erzählen nicht die Geschichte der Junkies, sondern die Geschichte deren vergessenen Kindern. Dabei oszilliert die Geschichte zwischen brutaler Realität und poetischer Fantasiewelt. Eine Fantasiewelt, in die sich Mia immer wieder rettet, um sich vor dem Horror des Alltags zu schützen. Mia erschafft sich dafür einen imaginären Freund, der ihrer Liebe zur Musik entspringt: Buddy. Dass es ausgerechnet eine Ikone aus den Fünfzigern ist, ist kein Zufall. Mias Vater, den sie nach der Trennung der Eltern schmerzlich vermisst, ist ein Buddy-Holly-Fan und hat Mia mit dessen Musik bekannt gemacht. Buddy ist somit nicht nur Mias Alter Ego, sondern zugleich auch eine Verbindung zum abwesenden Vater. Verkörpert von einem realen Schauspieler wird Buddy mit Mia interagieren wie eine normale Person, jedoch für die anderen Filmfiguren nicht sichtbar sein. Ganz ähnlich wie es zum Beispiel mit Hobbes, dem Tiger im Comic 'Calvin and Hobbes', geschieht.

Ein weiteres charakteristisches Motiv von PLATZSPITZBABY ist der Kontrast: Der Kontrast zwischen der heilen Aussenwelt einer idyllischen Schweizer Provinzgemeinde in den 90er-Jahren und der grimmigen, drogenverseuchten Innenwelt von Mias und Sandrines Wohnung. Der Kontrast zwischen Buddys saubernaiver Erscheinung und jener der verwahrlosten Junkies aus Sandrines Freundeskreis. Es ist derselbe Kontrast, der damals auch zwischen der offenen Drogenszene auf dem Platzspitz und der glitzernden Zürcher Bahnhofstrasse herrschte. Ein Kontrast, der auch heute noch viele Leute verstört: Wie war es möglich, dass mitten in der reichen und lieblichen Schweiz eine solche Hölle existierte? Die visuelle Erzählweise ist dabei stets der Emotionalität verpflichtet. Die Kamera bleibt nahe an den Charakteren, beinahe schon an ihren Gesichtern klebend. Mittels Close-Ups werden kleinste Regungen einfangen, ganz ähnlich wie es z.B. im Film MOONLIGHT geschieht. Zugleich wollen wir damit einen unmittelbaren 
Realismus einfangen, der nur teilweise durch Mias Fantasie eine Überhöhung erfährt. Eine magische Realität gewissermassen, subtil, poetisch und berührend, wie z.B. im Film BEASTS OF THE SOUTHERN WILD. 

PLATZSPITZBABY ist ein character-driven Film mit einem hochemotionalen Thema. Wir sind überzeugt, dass wir die Chance haben, mit dieser Geschichte das Schweizer Publikum zu packen, und aufzuwühlen. Denn eines ist klar: Obwohl es heute keine offene Drogenszene mehr gibt, wie damals am Platzspitz oder beim Letten, so ist das Drogenproblem keineswegs verschwunden, geschweige denn gelöst."

 

Fotos zum Film finden Sie hier.

Hauptabteilung Kommunikation

Claudia Hustedt
hustedt.cwhatever@zdf.de
Mainz, 02. Oktober 2023