Kulturplatz

Einsiedeln im Ausnahmezustand: Das Welttheater wird 100

Das Kulturmagazin von Schweizer Radio und Fernsehen
Sa 08. Jun
09:05 Uhr
Moderation: Eva Wannenmacher
(Erstsendung: 05.06.2024)
1924 feierte "Das große Welttheater" auf dem Klosterplatz in Einsiedeln/Kanton Schwyz Premiere. Lukas Bärfuss' Neufassung soll 2024 für Gänsehaut sorgen.

500 Laien zeigen vor und hinter den Kulissen vollen Einsatz. "Kulturplatz" rollt die 100-jährige Geschichte auf, gräbt im Archiv, birgt Anekdoten und begleitet Menschen aus dem "Spielvolk" zum großen Auftritt.

100 Jahre nach der Premiere von Calderóns "Das große Welttheater" auf dem Klosterplatz von Einsiedeln wirft Lukas Bärfuss mit seiner zeitgenössischen Neufassung existenzielle Fragen auf: Wofür lohnt es sich zu leben? Wofür zu sterben? Welche Rolle spiele ich im Leben?

Rund 500 Laien sind bei diesem Spiel – vor und hinter den Kulissen – mit dabei: vom Enkel bis zur Großmutter. Ein Spiel, das Generationen verbindet und den Zusammenhalt im Dorf stärkt. Über ein halbes Jahr lang wurde geprobt. Das "Spielvolk": mit Feuereifer dabei. Freizeit und Ferien wurden dem Spiel geopfert. Gemeinsam haben Einsiedlerinnen und Einsiedler Großes geschaffen.

"Kulturplatz" erinnert sich mit Menschen, die seit Jahren zum "Spielvolk" gehören an Skurriles und Unvergessliches und begleitet Alte und Junge, vom Schicksal Heimgesuchte und Lebenshungrige bis zum großen Auftritt.

Das Klosterdorf Einsiedeln zeichnet eine barocke Theatertradition aus. Auf dem Klosterplatz wurde aber erstmals 1924 Theater gespielt, obwohl dieser einst sogar nach speziellen akustischen Gesichtspunkten gestaltet wurde. Die Wahl des Stückes fiel auf "Das große Welttheater" des spanischen Dramatikers Pedro Calderón de la Barca in der Übersetzung von Joseph von Eichendorff. Die Aufführung: weniger Kunstgenuss als vielmehr seelische Erhebung. Am Stückende gab es keinen Applaus. Das Spielvolk stimmte zusammen mit dem Publikum "Großer Gott, wir loben Dich" an.

In den 1960er-Jahren sorgte das Mysterienspiel aber mehr und mehr für Unmut. Kritisiert wurde die nicht mehr zeitgemäße, gottgewollte hierarchische Ordnung. Eine rigorose Neuausrichtung wagte die Welttheater-Gesellschaft aber erst 2000 mit Autor Thomas Hürlimann und Regisseur Volker Hesse, auch wenn Calderóns Grundgedanken integraler Bestandteil blieben. Nun hat sich Lukas Bärfuss den Stoff vorgeknöpft. Das Kloster gab den Segen zu seinem Stück, das selbst vor Kindsmissbrauch in der Kirche nicht Halt macht.

Eva Wannenmacher fragt Lukas Bärfuss, wie viel Provokation einkalkuliert ist. Und sie trifft Abt Urban im Kloster mit einem gewissen Staunen, dass der Abt keine Einwände hatte gegenüber der frivolen und sehr expliziten Szene, die Kindsmissbrauch thematisiert. Im Wissen, dass auch im Kloster Einsiedeln Missbrauch immer wieder ein Thema war.

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