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Arbeit(en) heute: 3sat blickt in zwei Dokus auf die aktuelle Arbeitswelt

Mit "Eine Gesellschaft ohne Arbeiter" von Heidelinde Neuburger-Dumancic und "Arbeit ohne Nebenwirkungen - sinnvoll, nachhaltig, auf Augenhöhe" von Franziska Mayr-Keber

Fachkräfte werden verzweifelt gesucht. Niemand will sich mehr in das Korsett der 40-Stunden-Woche zwängen. Wie könnte eine neue, faire Arbeitswelt aussehen? In zwei Dokumentationen blickt 3sat am Mittwoch, 8. November 2023, ab 20.15 Uhr auf die aktuelle Arbeitswelt.

Dokumentationen
Mi 08. Nov
20:15 Uhr
und
Mi 08. Nov
21:05 Uhr
Erstausstrahlungen

Mittwoch, 8. November 2023, 20.15 Uhr

"Eine Gesellschaft ohne Arbeiter"

Film von Heidelinde Neuburger-Dumancic

Erstausstrahlung

Fachkräfte werden verzweifelt gesucht: am Bau, im Tourismus, in der Pflege, in der IT. Die Arbeiterlosigkeit ist neben dem Klimawandel eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Der wichtigste Motor des Wachstums wird knapp: der Mensch. Europa steht vor gravierenden demografischen Veränderungen. Zu wenige Junge strömen auf den Arbeitsmarkt. Die gesellschaftlichen Folgen sind drastisch, Produktivität und damit Wohlstand sind in Gefahr.

"Das ist die am besten vorhergesagte Krise", meint der Chef des größten Jobportals Deutschlands Sebastian Dettmers mit Blick auf die Bevölkerungsstatistiken. In Europa, in China, sogar in Indien werden die Geburtenraten sinken. 70 Prozent der Unternehmer in Deutschland klagen schon jetzt über Personalmangel und können anstehende Aufträge nicht abarbeiten. Es fehlen Software-Ingenieure, aber auch LKW-Fahrer. Das Problem wurde lange kaschiert. Menschen aus Bulgarien, Rumänien oder auch aus dem ehemaligen Jugoslawien wurden in den deutschen Sprachraum geholt. "Das hat aber keine Zukunft, weil man praktisch den gesamten Arbeitsmarkt in diesen Ländern schon leergeräumt hat und dort auch sehr wenige Kinder geboren wurden", meint die Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann. Noch habe es sich nicht herumgesprochen: Die Migranten aus Afrika und dem Nahen Osten sind die Arbeitskräfte, die wir brauchen werden.

"Der einzige Teil der Welt, der noch wachsen wird, ist Afrika südlich der Sahara", prognostiziert Sebastian Dettmers. Seine Schlussfolgerung: Einwanderung muss erleichtert werden, gut bezahlte Jobs und bessere Integration sollen ein Plus im Wettbewerb werden. Schon jetzt ist der "War of Talents" entbrannt – das Buhlen um die qualifizierten Leute läuft rund um den Globus. Ein Brennpunkt ist der Pflege-Sektor. Arbeitskräfte von den Philippinen, aus Kolumbien oder Brasilien sind heftig umworben. Holen wir doch die Rentner zurück! Holen wir die Frauen zurück! Die Leute sollen nur vier Tage arbeiten! Umwerben wir die Jungen! Welches Konzept wird uns aus der Misere helfen? In Europa könnte bis 2050 eine Lücke von 6,3 Millionen Beschäftigten entstehen.

Ein Blick zurück in der Geschichte zeigt: Schon einmal wurden die fehlenden Arbeiter gefunden. Zwischen 1955 und 1973 lockten Österreich und Deutschland Millionen von Gastarbeitern aus Italien, der Türkei, Jugoslawien und Griechenland in ihre aufstrebenden Industrieländer. In der Schweiz zeigt sich, dass auch niedrig qualifizierte Arbeiter fehlen. Nachdem sich viele Schweizer höher qualifiziert haben, fehlen nun die einfachen Arbeiter.

Die Klimakrise heizt das Problem noch an. Es gibt zu wenige Fachleute, die Gebäude klimafit machen, Photovoltaikanlagen oder Wärmepumpen installieren können, um die gesetzlich vorgeschriebene Energiewende zu schaffen. Allein in Deutschland fehlen dafür rund 60.000 Monteure.

Sollten die Arbeiter nicht durch Roboter ersetzt und bald überflüssig werden? Ersetzt wird die menschliche Arbeitskraft aber nur bei Routinearbeiten. Automatisierung, Robotik und Digitalisierung schaffen zudem neue Arbeitsplätze. "Durch Künstliche Intelligenz passiert jetzt ein weiterer Automatisierungsschub. Und dafür brauchen wir dringend Fachkräfte", sagt Sabine Köszegi von der TU Wien, "Das Problem kennt man schon lange, auch in Europa."

Ein Film über den Wandel in der Arbeitswelt und Ideen für die Zukunft.

 

Mittwoch, 8. November 2023, 21.05 Uhr

"Arbeit ohne Nebenwirkungen - sinnvoll, nachhaltig, auf Augenhöhe"

Film von Franziska Mayr-Keber

Erstausstrahlung

Klima, Krieg, Inflation, Krisen erschüttern den Alltag und die Arbeitswelt. Menschen sind erschöpft, Perspektiven verblichen. Unternehmen schließen wegen Personalmangel. Niemand will sich mehr in das Korsett der 40-Stunden-Woche zwängen. Viertagewoche, Flexibilität, höhere Löhne, gibt es einen Weg aus der Krise? Sind junge Menschen faul und die ältere Generation unflexibel? Der Film fragt nach, warum und wie wir arbeiten wollen.

 

Nach 20 Jahren als Pflegefachkraft im Spital schmeißt Claudia Kuss ihren Beruf hin. "Ich liebte meinen Job, aber ich konnte nicht mehr," erzählt sie und sattelt um. "Dass Menschen aufgeben, ist nicht immer freiwillig," analysiert die Politologin Barbara Prainsack von der Universität Wien. Vollzeit zu arbeiten, sei in vielen Bereichen zu belastend geworden. Heute gut zu leben, statt auf die Pension hinzufiebern, gilt als Credo der jungen Generation. Die maximale Flexibilität lebt Leonie Müller. Ihr Leben und ihr Büro hat sie in einen Van gepackt und tourt als "New Work"-Beraterin durch Deutschland.

"Studien belegen, dass über 50-jährige Menschen früher in Rente gehen wollen. Sie nehmen dafür finanzielle Verluste in Kauf. Der Wunsch, mehr Zeit für andere Dinge zu haben, eint die Generationen," so die feministische Autorin Teresa Bücker. Sie fordert mehr Zeitgerechtigkeit. "Zeit ist neben Geld und Repräsentation eine wichtige Dimension von Gerechtigkeit. Denn wer hat neben der Pflege von Angehörigen und Betreuung von Kindern überhaupt Zeit, lohnzuarbeiten? Wer hat Zeit, für seine Interessen politisch einzutreten?"

Dem Markt fehlen Arbeitskräfte. Firmen buhlen um Personal. Ein Tischlereibetrieb in Westösterreich hat die Arbeitszeit verkürzt und auf vier Tage gebündelt. Als Anreiz für die Mitarbeitenden und um die Umwelt zu entlasten. Ein Tag weniger Betrieb bedeutet weniger CO2 Ausstoß, weniger Krankenstände und weniger Personalmangel.

"Nicht alle können sich ihren Job aussuchen oder gute Bedingungen ausverhandeln" meint der Soziologe Jörg Flecker von der Universität Wien. Über einen längeren Zeitraum unfreiwillig arbeitslos zu sein, sei ebenso gesundheitsschädlich wie eine belastende Arbeitsstelle. Menschen ohne Druck eine Chance auf zu Arbeit geben, das will das Pilotprojekt MAGMA in Niederösterreich. Langzeitarbeitslosen wird hier eine Arbeitsplatzgarantie gegeben, ihre Kompetenzen gestärkt und Jobs innerhalb der Gemeinde geschaffen.

Ein Grundproblem unserer Arbeitskultur sei der Arbeitsbegriff, so Barbara Prainsack. Viele Bereiche, wie etwa "Care Arbeit" und Nachbarschaftshilfe, werden nicht als gleichwertig mit der Lohnarbeit betrachtet. Das schaffe ein Ungleichgewicht. Betroffen von dieser Ungleichheit sind Frauen. Während Katharina Miller im Jobsharing mehr Karrierechancen für Mütter, die nicht Vollzeit arbeiten können oder wollen, sieht, fordert Teresa Bücker eine Zeitrevolution mit der Option eines Einkommens für Sorgearbeit.

Wie also könnte eine neue, faire Arbeitswelt aussehen? Der Film von Franziska Mayr-Keber sucht nach Antworten und Perspektiven für Unternehmen sowie für Arbeitnehmende.

 

Fotos zu den Sendungen finden Sie hier.

Hauptabteilung Kommunikation

Claudia Hustedt
hustedt.cwhatever@zdf.de
Mainz, 17. Oktober 2023