Filmemacher Alexander Riedel auf den Spuren des Windes in der Namibwüste © ZDF und Alexander Riedel

"Der Sound des Windes ist wunderbar, wenn er sich denn einfangen lässt!"

Interview mit Filmemacher Alexander Riedel

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, sich als Filmemacher dem Thema Wind zu widmen?

Ich war mit meinen Kindern beim Segeln, und irgendwann kam meine Tochter mit der Frage auf mich zu: "Woher kommt eigentlich der Wind, und wohin geht er, wenn er wieder weg ist?" Diese Frage war der Anfang, und so begann ich für dieses Projekt zu recherchieren, und tauchte immer tiefer in die Thematik ein. Mich interessierte der Wind als Erlebnis, der Gedanke, dass der Wind die Welt beherrscht und dabei uns alle, die Menschen unseres Planeten, verbindet. Mir wurde einmal mehr bewusst, dass wir mit jedem individuellen Handeln Verantwortung für andere sowie für die nächsten Generationen tragen.
So wurde der Wind tragendes Element im Film und wir erleben ihn mal poetisch, mal ganz konkret und hörbar, wie er die Natur lenkt und prägt. Er wird zum roten Faden im Film und führt uns zu Menschen, die sich dem Wind verschrieben haben, weil sie ihn erforschen wollen und beständig messen. Der Film erzählt von der Vermessung der Welt im meteorologischem Sinne und dem Versuch, einer möglichst präzisen Vorhersage durch Wind- und Wetterdaten, was in einer Zeit, in der sich Naturkatastrophen häufen, immer dringlicher wird.

Nach welchen Kriterien haben Sie die Drehorte und Fachleute für Ihren Film ausgesucht?

Bei der Auswahl der Protagonist*innen ist mir, neben ihrer Qualifikation für das Thema, besonders wichtig, dass sie vertrauensvolle Nähe zulassen und ihre Geschichten sich gut in das Projekt fügen, damit sich der Film auch emotional dicht erzählen lässt.
Ich erfuhr eine große Hilfsbereitschaft von vielen Seiten in der Wissenschaft und so konnten wir gezielt recherchieren und auswählen. Meinem Hauptprotagonisten, dem Wind, begegnete ich dann das erste Mal ganz konkret im eisigen Norden. Das war bei einer einzigartigen Messkampagne auf Spitzbergen, die sich mit dem Wind, genauer gesagt mit Warm- und Kaltluftströmen über der Arktis und der Beeinflussung unseres Klimas in Mitteleuropa beschäftigt. Das nutze ich, um die Filmerzählung und meine Reise mit dem Wind zu beginnen.

Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit dem Meteorologen Özden Terli?

Ich habe Özden Terli auf Spitzbergen kennengelernt. Ich hatte mich an dem Tag auf die Lauer gelegt, um dort den eisigen Nordwind und eine groß angelegte Messkampagne, die sich mit der Luftströmung über der Arktis befasste, zu drehen. Özden war ebenfalls auf der Insel, um live für das ZDF am Tag der Meteorologie aus der Arktis zu berichten. Wir trafen uns nach seiner Berichterstattung im Hotel. Ich erzählte ihm von meinem Projekt und wir vereinbarten, ein Gespräch zu drehen – gleich am nächsten Morgen. Ich erkannte in ihm einen kongenialen Partner vor der Kamera, und so entstand die Zusammenarbeit, die sich letztlich durch den ganzen Film zieht.

Der Film macht die Auswirkungen des Klimawandels sehr deutlich, gleichzeitig sind Sie sehr viel gereist. Wie passt das zusammen? Wurde bei den Reisen auf Klimafreundlichkeit geachtet?

Ja, selbstverständlich haben wir darauf geachtet. Die Herausforderung ist aber, ein angemessenes Maß zu finden: mit eindringlichen cineastischen Bildern zu erzählen, aber Ressourcen nicht unnötig zu verschwenden. So haben wir uns bei den Dreharbeiten zu diesem Film bewusst entschieden, dass ich weite Teile der Reise alleine machen werde, um den CO2-Fußabdruck des Films so gering wie möglich zu halten. Alle Reisen auf dem europäischen Kontinent wurden per Bahn organisiert. Zum Teil drehten wir im kleinen Kamera-Regie-Team oder mit Hilfe am Set vor Ort. Dann aber wieder musste ich mich allein mit der Kamera durch Eis und Schnee oder durch überfüllte Kongresse wühlen.

Auf der Soundebene gibt es immer wieder Abschnitte, die den Wind klangvoll in Szene setzen. Wie entstanden diese Soundscapes?

Der Sound des Windes ist wunderbar, wenn er sich denn einfangen lässt! Ich stand stundenlang an den entlegensten Orten dieser Welt, um einfach nur zu hören. Ich lief tagelang an Bord der Polarstern auf und ab und angelte nach hörbaren Windschnipseln oder stand im Schneesturm oder in den Dünen der Namibwüste, um den Sand zu hören, der vom Wind davongetragen wird. Die Herausforderung dabei ist es, dem Wind nicht im Weg zu stehen, sondern ihn vorbeigleiten zu lasse. Nur dann kommt es zu Momenten, in denen allein der Wind zu hören ist, wie er zum Beispiel an einem Messgerät vorbei säuselt.
Wenn es aber für manche Einstellungen immer noch zu wenige oder zu unspezifische Windgeräusche gab, die ich mitgebracht hatte, dann haben wir das in der Tonbearbeitung kreiert. Denn ich halte es für ein legitimes Mittel, mit einem gezielten Sounddesign zu arbeiten und die Tonspuren zu mischen. Es geht mir darum, filmisch und emotional dicht zu erzählen – und dazu gehört auch eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema auf der Tonebene und die Freiheit, diese zu gestalten.

Was waren für Sie die größten Herausforderungen bei diesem Projekt?

Ich denke, die größte Herausforderung bei dem Projekt war es, ein gutes Maß zwischen einer dichten Filmerzählung und wissenschaftlichen Inhalten zu finden.

Gibt es ein Ereignis während der Drehzeit, dass Ihnen ganz besonders in Erinnerung bleibt?

Das ganze Projekt war eine wunderbare Erfahrung für mich und das ganze Team. Als besonders eindrucksvoll empfand ich die Dreharbeiten in der Arktis, bei der ich allein im Eis und Schnee unterwegs war und es neben Landschaftsaufnahmen auch darum ging, im Gespräch die Nähe zu meinen Protagonist*innen zu halten und zugleich die Kamera trotz der extremen Minusgrade ruhig zu führen.

Wie sind Sie an die Herausforderung herangegangen, aus demselben Material einen künstlerischen Dokumentarfilm und eine Wissenschaftsdokumentation herzustellen?

Auch wenn ich bei meinen filmischen Arbeiten in erster Linie an den Menschen und ihrem Leben interessiert bin, so bin ich kein wissenschaftlich uninteressierter Mensch. Ich habe es als Chance wahrgenommen, die Elemente eines künstlerischen Dokumentarfilms mit wissenschaftlichen Inhalten zu kombinieren. Ich folge generell Menschen, Figuren oder Protagonist*innen sehr viel lieber, wenn ich eine Verbindung zu ihnen aufbauen konnte – und warum sollte das nicht auch für wissenschaftliche Inhalte gelten? Das hat aber auch viel mit Vertrauen zu tun. Die Protagonist*innen vertrauen mir bei meiner Arbeit als Filmemacher und meinem Umgang mit ihnen im Bild, und ich vertraue ihnen bei dem, was sie mir vor der Kamera geben, was sie mir erzählen. Und ein lückenlos komplettes Bild vom Leben gibt es für mich nicht. Das halte ich auch nicht für erstrebenswert, weder im künstlerischen, noch im wissenschaftlichen Film.

Das Interview führte Sarah Touihrat, Redaktion Dokumentarfilm ZDF/3sat.

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Marion Leibrecht
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Mainz, 27. August 2024