"Das Talent, also die Bereitschaft zur Gewalt, ist in uns allen angelegt", sagt Neurobiologin Dr. Karin Rüttgers. Copyright: ZDF/Felix Voss

"WissenHoch2 " über "Die vielen Gesichter der Gewalt" und Kolonialismus

Mit einer neuen Wissenschaftsdoku und einer neuen Ausgabe von "scobel"

Angriffe auf Einsatzkräfte, Schlägereien auf Schulhöfen oder Sportplätzen: Die Spirale der Gewalt startet immer früher. Was passiert im Gehirn, wenn Menschen ihren Aggressionen freien Lauf lassen? Die Dokumentation "Die vielen Gesichter der Gewalt" von Florian Fiedler und Sascha Rudolf, zu sehen bei "WissenHoch2" in 3sat am Donnerstag, 14. September 2023, 20.15 Uhr, geht dieser Frage anhand von neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen nach. Im Anschluss, um 21.00 Uhr, folgt die Sendung "scobel – Lange Schatten des Kolonialismus". Erstausstrahlungen.

WissenHoch2
ab
Do 14. Sep
20:15 Uhr
Erstausstrahlungen

Obwohl wir vermeintlich in einer Kultur leben, die Gewalt ablehnt und versucht, Konflikte konstruktiv und friedlich zu lösen, ist Gewalt ein Teil unseres Zusammenlebens und unseres Alltags. Schlummert die Tendenz zur körperlichen Auseinandersetzung in jedem von uns?

Die Wissenschaft forscht an unterschiedlichen Ursachen der Gewalt: Die anthropologische Seite schließt vom Verhalten der Menschenaffen auf den Menschen. Die Evolutionsbiologie ergründet, warum wir das "Steinzeitverhalten" immer noch instinktiv in uns tragen – wo doch unsere Kultur so viel weiterentwickelt ist. Trotzdem müssen zum Beispiel jedes Jahr  etwa 900 Fußballspiele im Amateurbereich wegen Übergriffen abgebrochen werden.

Neurobiolog*innen forschen an Hormonen, die aggressives Verhalten auslösen oder dämpfen können, und welche Regionen im Gehirn bei der Ausübung von Gewalt aktiviert werden. Liegt dort der Schlüssel, um uns das "Gewaltpotenzial" zu nehmen? "Das Talent, also die Bereitschaft zur Gewalt, ist in uns allen angelegt", sagt Neurobiologin Dr. Karin Rüttgers.

Soziologen und Soziologinnen erforschen die gesellschaftlichen Ursachen für Gewalt wie mangelnde Integration oder Chancengleichheit. Welche Rolle spielt die institutionelle Gewalt in unserer Gesellschaft? Die Dokumentation begleitet das Projekt "Kurve Kriegen" - ein in Deutschland einzigartiges Projekt von Sozialarbeit und Polizei, das bereits mehr als 1000 Kinder und Jugendliche erfolgreich absolviert haben.

Im Anschluss daran, um 21.00 Uhr, folgt die Sendung "scobel – Lange Schatten des Kolonialismus", in der Gert Scobel und seine Gäste über die vielen mit dem Kolonialismus verbundenen Fragen diskutieren. Der europäische Kolonialismus brachte Gräueltaten an Millionen von Menschen hervor. Bis heute profitiert Europa von der jahrhundertelangen Plünderung von Ressourcen und der Ausbeutung von Menschen als Sklaven. Das so erzeugte wirtschaftliche und geopolitische Ungleichgewicht blieb bestehen. Die Forderung nach einem neuen Blick auf die Kolonialzeit wird lauter, damit eine echte Erinnerungskultur für alle geschaffen werden kann. Das aber könnte Konsequenzen für Europa haben – Reparationszahlungen und Rückgaben von gestohlenen Kunstgegenständen. Ausbeutung und Abhängigkeiten schränken kolonialisierte Länder in ihrer Entwicklung bis heute stark ein. Eine nennenswerte Wiedergutmachung durch die ehemaligen Kolonialstaaten gab es nie. Das moralische Feigenblatt "Entwicklungshilfe" ist auf breiter Front gescheitert.

Inzwischen gibt es einen neuen, den Neokolonialismus, in dem unter anderem China und Russland ihre wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen vor allem im rohstoffreichen Afrika durchsetzen wollen. Doch die afrikanischen Staaten begegnen dem alten und neuen Kolonialismus zunehmend mit einem erstarkenden Selbstbewusstsein. Es hat ein Prozess des Empowerments begonnen. Die afrikanischen Staaten bringen sich peu a peu selbst in die Lage wirtschaftlich, technologisch und politisch bei den großen Wirtschaftsnationen mitzuhalten. Doch auch das wird in Europa weitestgehend ignoriert. 

Gäste: 

Albert Gouaffo
...kamerunischer Literatur- und Kulturwissenschaftler. Er lehrt und forscht aktuell als Professor für germanistische Literatur- und Kulturwissenschaft sowie zur interkulturellen Kommunikation zwischen Afrika, Deutschland und Frankreich an der Universität Dschang, Westkamerun. Seine Forschungsschwerpunkte sind Kolonialgeschichte, Postkolonialismus und Gedächtnisstudien.

Carola Lentz
…studierte Soziologie, Politikwissenschaft, Germanistik und Pädagogik an der Georg-August-Universität Göttingen und der Freien Universität Berlin. Von 1996 bis 2019 war sie Professorin für Ethnologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und an der Johannes Gutenberg-Universität. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u.a. Ethnizität, Nationalismus, Kolonialismus und Erinnerungspolitik. Seit 2020 ist sie Präsidentin des Goethe-Instituts. 

Karina Theurer
…ist Völkerrechtlerin mit den Schwerpunkten Gender, Transitional Justice und rechtliche Aufarbeitung des Kolonialismus. Sie lehrt Menschenrechtsdurchsetzung an der Humboldt-Universität sowie Dekoloniale Theorie und Praxis an der Bucerius Law School. Von 2009 bis 2019 leitete sie die Humboldt Law Clinic Grund- und Menschenrechte, lehrte und betreute deren praxisbezogene Projekte schwerpunktmäßig zu Gender, Kolonialverbrechen und Business & Human Rights. 

 

"WissenHoch2" – ein Thema, zwei Formate: Um 20.15 Uhr beleuchtet eine Dokumentation relevante wissenschaftliche Fragen; um 21.00 Uhr diskutiert Gert Scobel das Thema mit seinen Gästen aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen.

 

Hier finden Sie ein Interview zum Thema menschliche Gewalt mit Menno Baumann (MB), Professor für Intensivpädagogik, Fliedner Fachhochschule Düsseldorf, als PDF und hier geht es zum Interview als Beitrag.

 

Bilder finden Sie hier

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Marion Leibrecht
leibrecht.mwhatever@zdf.de
Mainz, 24. Juli 2023