"Man muss den Menschen positiv erklären, wie gut es ist, wenn wir Klimaschutz betreiben."
ZDF-Wetterexperte Özden Terli im Interview
Özden Terli ist einer der Protagonisten in Alexander Riedels Dokumentarfilm "Wind – Die Vermessung des großen Luftozeans" (Montag, 21. Oktober 2024, 22.25 Uhr) und führt durch die Wissenschaftsdokumentation "Wind (AT)" (Donnerstag, 21. November 2024. 20.15 Uhr). Im Anschluss, um 21.00 Uhr, wird der ZDF-Wetterexperte einer der Gäste in der Sendung "scobel" zum Thema "Klima extrem! (AT)" sein.
Hier finden Sie das Interview als Audio-Datei und das Transkript mit Timecodes.
Wie kam es zu der Zusammenarbeit zwischen dem Dokumentarfilm "Wind" und der Wissenschaftsdoku mit Alexander Riedel?
Wir haben uns auf Spitzbergen getroffen. Ich war für das ZDF vor Ort und habe über eine internationale Messkampagne des Alfred-Wegener-Instituts die Berichterstattung gemacht. Und da war Alexander Riedel auch unterwegs und hat schon für den Film gedreht. Allerdings war es zu dem Zeitpunkt noch nicht klar, dass wir zusammenarbeiten würden. Wir haben eine Szene zusammen aufgenommen, weil er sich für meine Erklärungen zur Arktis und zu der globalen Erhitzung und zu den Zusammenhängen interessiert hatte. Da haben wir dann beschlossen, eine Szene für den Film aufzunehmen – und das fand ich spannend. Und dann, Monate später, meldete er sich bei mir und meinte: Wir könnten doch eigentlich den Film zusammen machen.
Was hat Sie am Thema Wind gereizt?
Wind hat mich schon immer fasziniert. Es ist faszinierend, wie Luftmassen sich bewegen, wie Stürme entstehen, wie man Wind spürt. Auch was ganz Elementares, wenn man auf dem Fahrrad sitzt und den Gegenwind spürt. Das sind alles erst einmal sehr sinnliche Wahrnehmungen, die sehr schön sind. Und natürlich aus professioneller Sicht, denn mit Wind wird ja viel transportiert. Da wird Luft transportiert, Feuchtigkeit, aber auch Schadstoffe. Zum Beispiel: Wohin wandern Schadstoffe oder bzw. wo kommen sie her? Darauf gehen wir auch in dem Film ein und zeigen Methoden, wie man Emittenten dingfest machen kann und gehen der Frage nach: Wie verteilt sich CO2 in der Atmosphäre?
Wir erleben Wind ja auch in der Extremform, man hat den Eindruck, mittlerweile häufiger. Was hat denn Wind mit Klima und Klimawandel zu tun?
Die Windsysteme verändern sich. Diese großen Windsysteme, zum Beispiel der Jetstream, aber auch der Polarwirbel, der sich ja noch in größeren Höhen ausbildet. Und da gibt es Interaktion. Diese Interaktionen zwischen unteren und oberen Luftschichten kennen wir schon seit vielen, vielen Jahrzehnten. Aber diese Systeme verändern sich, und dadurch verändert sich letztendlich auch unser Wetter. Da spielt die globale Erhitzung eine große Rolle in diesen Veränderungen in diesen Windsystemen. Aus professioneller Sicht ist es sehr spannend und interessant zu beobachten, was da passiert. Aber eigentlich ist es auch sehr beunruhigend, wie schnell sich alles verändert. Die meisten Menschen bekommen nur wenig mit. Es ist aber ein gewaltiger Umbruch.
Mit welchen Auswirkungen rechnen Sie in den nächsten zehn, zwanzig Jahren?
Was wir jetzt schon sehen, ist, dass Wettersysteme stecken bleiben, und dass der Jetstream die Tiefs vor sich her schiebt oder sie mitnimmt. So kann man sich das vielleicht vorstellen. Das verändert sich ja schon. Und wenn die Tiefs stationärer werden, was wir auch in den letzten gut acht bis zehn Jahren schon beobachten, wird es gefährlich, weil die Wettersysteme hängen bleiben und das gleiche Wetter produzieren. Also zum Beispiel Regenereignisse, die dann länger anhalten. Und dadurch kommen große Regenmengen zusammen. Oder die Hochs bleiben hängen und erzeugen viel Wärme und Hitze. Die Hitzewellen werden länger anhalten, sie sind intensiver. Und das kann natürlich alles dazu führen, dass es zur Ernteausfällen kommt und wir letztendlich auch Probleme mit der Nahrungsmittelversorgung bekommen, eventuell sogar weltweit. Wenn zum Beispiel der Jetstream so unglücklich auf der Nordhemisphäre hängenbleibt, dass verschiedene Kornkammern getroffen werden, dann kann es eben gefährlich werden.
Gibt es denn aus Ihrer Sicht ein Defizit, was die Beschäftigung mit dem Thema Wind betrifft?
Wind ist ja dann nur ein Teil des Wetters bzw. ein Teil der Veränderungen im System. Also die Windverhältnisse verändern sich aufgrund der Klimaveränderung. Eine Verstärkung des Windes oder Veränderung der Windsysteme ist also im Prinzip eine Klimafolge, eine Folge dessen, dass es immer wärmer wird. Und womit wir definitiv ein Defizit haben, ist eine adäquate Auseinandersetzung mit den Veränderungen, mit der globalen Erhitzung. Wenn wir also ordentlich Klimaschutz betreiben würden, wären die Probleme auch geringer.
Jetzt beschäftigt sich 3sat im Doppelpack mit dem Thema: einmal in einem Dokumentarfilm, einmal in einer Wissenschaftsdoku. Wieso bedarf es dieser zwei Aufschläge?
Der Dokumentarfilm ist wesentlich breiter gefasst. Wir haben mehr Protagonisten, die sich außerhalb der wissenschaftlichen Erklärungen noch äußern, also durchaus auch mal politische Äußerungen tätigen in die Richtung, wie Klimapolitik sein müsste. Es geht darum, im Großen und Ganzen das zu denken, was passieren müsste, damit mehr Klimaschutz umgesetzt wird. Denn das lässt sich von der Thematik Wind gar nicht trennen. Da sind also viel breiter auch Versuche der kritischen Auseinandersetzung damit Thema. Zum Beispiel, dass die Münchner Rückversicherung sagt, es ist ja selbstverständlich, dass das auf die Veränderungen im Klimasystem zurückzuführen sind. Es wird immer extremer und das sehen wir einfach. Also solche Aussagen sind ja sehr spannend außerhalb von Wissenschaftlern oder Meteorologen.
Derzeit hat man den Eindruck, dass die Themen rund um Klimawandel wieder etwas in den Hintergrund gerückt sind. Teilen Sie diesen Eindruck?
Ja, leider sehe ich das auch so und das wird auch wirklich heiß diskutiert bei Treffen zum Thema. Es ist so, dass Menschen, die sich damit auseinandersetzen, sehr viel darüber diskutieren, dass dieses Querschnittsthema – es betrifft ja alle Themen, alle Bereiche, – stärker in den Hintergrund gerückt ist. Das wird sehr kritisch betrachtet und bedauert, weil es letzten Endes genau das Gegenteil sein müsste. Wir müssen uns intensiv damit auseinandersetzen und Lösungen finden, wie wir die Emissionen senken, die ja letztendlich für die Erhitzung sorgen. Die fossile Industrie hat nicht wirklich Interesse daran, dass das alles schnell vonstatten geht. Es werden andauernd Ablenkungsmanöver gefahren, wo man von der Querschnittsthematik Klima ablenkt. Und eigentlich müsste es permanent on top sein und man müsste darüber diskutieren, wie man vorwärts kommt. Und vor allem positiv kommunizieren! Nicht den Menschen Angst machen, sondern positiv erklären, wie gut es ist, wenn wir Klimaschutz betreiben. Und Klimaschutz ist Menschenrecht.
Und was ist im November von der UN-Klimakonferenz zu erwarten?
Nicht viel.
Das Interview führte Thomas Hagedorn, ZDF Kommunikation.
Die Biografie von Özden Terli finden Sie hier
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Marion Leibrechtleibrecht.mwhatever@zdf.de
Mainz, 24. September 2024