Tommy Lee Jones und Hilary Swank in einem ungewöhnlichen Spätwestern: 3sat zeigt "The Homesman"
Spielfilm, Frankreich/USA 2014
Westernhelden reiten nach Westen. Der untergehenden Sonne entgegen. Doch es geht auch anders. In Tommy Lee Jones‘ Film "The Homesman" (Frankreich/USA 2014) führt der Weg Richtung Osten, zurück in die Zivilisation. In den Hauptrollen brillieren Regisseur Tommy Lee Jones selbst und Hilary Swank ("Million Dollar Baby"). Ebenfalls mit von der Partie ist die Meryl Streep. 3sat zeigt diesen ungewöhnlichen Spätwestern, der 2014 bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes für die Goldene Palme nominiert war, am Samstag, 16. Dezember 2023, um 23.15 Uhr.
23:15 Uhr
"Western sind Filme über Konflikte an der Grenze Amerikas", schrieb Filmkritiker Joe Hembus im Vorwort seines Standardwerks "Das Western-Lexikon". Damit meinte er die Grenze, die den besiedelten Osten vom "leeren", "unzivilisierten" Westen trennt. "The Homesman" gestaltet einen solchen Konflikt, bildstark, einfühlsam, realistisch – und mit viel schwarzem Humor. Allerdings dreht er die sonst üblichen Verhältnisse des Western-Mythos um: Es geht zunächst vor allem um Frauen und nicht um Männer. Außerdem führt der Weg über die Grenze in die Gegenrichtung, nach Osten.
Die Geschichte beginnt vor dem Bürgerkrieg in den schier endlosen Weiten des Nebraska-Territoriums, jenseits des Missouri. Der Alltag der Pioniere in der abgelegenen kleinen Grenzstadt Loup ist hart und nichts für zartbesaitete Gemüter. Besonders die Frauen leiden unter den gnadenlosen Herausforderungen, vor die sie der ständige Kampf gegen die unerbittliche Natur und nicht zuletzt die Einsamkeit stellen. Für drei von ihnen ist es eines Tages zu viel: Die Farmersfrauen Arabella (Grace Gummer), Theoline (Miranda Otto) und Gro (Sonja Richter) verlieren aus unterschiedlichen Gründen den Verstand. Die Gemeinde beschließt daraufhin, sie zurück in die Zivilisation nach Iowa zu bringen. Dort, so der Plan, könnte sich eine Methodistengemeinde um ihre Genesung kümmern. Da sich jedoch keine Männer finden, die bereit wären, die Frauen zu begleiten, übernimmt die unverheiratete Farmerin Mary Bee Cuddy (Hilary Swank) diese Aufgabe. Ihr ist durchaus bewusst, dass es sich bei ihrer Reise um eine Art Himmelfahrtskommando handelt. Trotzdem begibt sich die gottesfürchtige und mutige Frau allein und entschlossen auf die gefährliche Reise durch die Wildnis.
Gleich zu Beginn trifft Mary mitten in der Prärie auf den Gesetzlosen George Briggs (Tommy Lee Jones), der sich gerade in einer sehr prekären Situation befindet. Sie rettet ihn vor dem sicheren Tod am Galgen, nicht ohne ihm zuvor das Versprechen abzunehmen, sie auf dem Weg nach Osten zu begleiten und zu beschützen. Schon bald muss Briggs erkennen: "Ganze fünf Wochen mit drei verrückten Weibern! Da hab‘ ich mir ja was eingebrockt." Auf ihrer entbehrungsreichen Odyssee treffen Mary, Briggs und die drei Frauen auf Siedler, die nichts mit "Verrückten" zu tun haben wollen, auf verrohte Desperados und bedrohlich wirkende Indianer. Doch gemeinsam trotzen sie den Gefahren der Prärie und langsam beginnen Mary und Briggs sich einander anzunähern. Dabei will Briggs Mary davon überzeugen, dass er in Wirklichkeit ein bindungsloser, schlechter Mensch ist. Seine Taten sprechen allerdings eine andere Sprache. Als Mary ihm schließlich die Ehe anbietet, muss er eine folgenschwere Entscheidung treffen.
"The Homesman" ist ein Western der anderen Art. Er bezieht seine erzählerische Kraft einerseits aus der reichen Tradition des Genres und andererseits aus einem völlig neuartigen Blickwinkel, indem er eine dezidiert weibliche Perspektive des Mythos präsentiert. Packend und schnörkellos, aber auch mit einer für einen Western ungewöhnlich sanften Melancholie nähert sich Tommy Lee Jones ("No Country for Old Men") der viel zitierten dunklen Seite des amerikanischen Traums. Gleichzeitig erzählt er eine universelle Parabel, in der es wortwörtlich um menschliche Grenzerfahrungen geht. Getragen wird die Handlung von einem herausragenden Schauspieler-Ensemble. Neben Jones selbst und Hilary Swank wirken u.a. Grace Gummer ("Frances Ha"), Miranda Otto ("Der Herr der Ringe – Die Rückkehr des Königs"), Sonja Richter ("Deutschstunde"), John Lithgow ("Bomb Shell") und James Spader ("Lincoln") mit. Hinzu kommt schließlich Meryl Streep in der Rolle einer empathischen Pfarrersfrau. Mit Streep stand Tommy Lee Jones kurz vor den Dreharbeiten zu "The Homesman" für die romantische Komödie "Wie beim ersten Mal“ vor der Kamera. Eine wesentliche Rolle in diesem sehr besonderen Spätwestern spielt auch die Landschaft. Der mehrfach oscarnominierte Kameramann Rodrigo Prieto ("Brokeback Mountain"), der als Director of Photography zuletzt u.a. Filme wie "Barbie" oder "Killers of the Flower Moon" ins Bild setzte, fing die Weite der kargen Prärie in beeindruckenden Cinemascope-Bildern ein: die trostlose Ödnis, die bis zum Horizont reichende Ebene unter einem großen Himmel, die die in ihr lebenden Menschen geformt hat und dabei jegliche Humanität durch das brutale Gesetz des Stärkeren ersetzt hat. Tommy Lee Jones inszenierte seine zweite Regiearbeit nach "Three Burials – Die drei Begräbnisse des Melquiades Estrada" auf der Basis eines Skripts, das er gemeinsam mit Kieran Fitzgerald und Wesley A. Oliver geschrieben hat. In "The Homesman" setzt er auf eine von Realismus und Authentizität geprägte Dramaturgie, wobei lakonischer Humor vor allem in den Dialogen zwischen den beiden Protagonisten schon bald auf den tödlichen und kompromisslosen Ernst des Wilden Westens trifft. Die gleichnamige literarische Vorlage aus dem Jahr 1988 stammt von Glendon Swarthout. Schon mehrfach wurden Bücher des US-amerikanischen Autors für das Kino adaptiert. Zu diesen Filmen gehört u.a. Don Siegels Klassiker "The Shootist" ("Der letzte Scharfschütze") von 1976 mit John Wayne in seiner letzten Rolle.
Fotos zum Film finden Sie hier.